Es war einmal ein adeliges Mädchen, das wurde in einem Nonnenkloster erzogen. Seine Eltern hatten sich gewünscht, dass es Nonne werden würde, doch es hatte keine Freude an dem Gedanken. Das Kloster wurde aber manchmal von armen Menschen aufgesucht, die dort um etwas zu essen baten. Eines Tages kam ein armer Mann in das Kloster. Er bat um eine Suppe und eine Nonne gab sie ihm widerwillig. Als er in dem Saal saß, sah er durch das Fenster und erblickte die adelige Frau, die an ihrem Fenster stand und betete. Da verliebte er sich in sie. Nachdem er gegessen hatte, ging er fort und kam am nächsten Tag wieder, weil er sie noch einmal sehen wollte. Er hatte Tag und Nacht nur an sie gedacht. Er bat wieder um eine Suppe und sah zum Fenster der jungen Adeligen. Sie war aber nicht dort, was ihn sehr traurig machte. Plötzlich erschien sie und begann wieder zu beten. Er empfand ihren Blick wehmütig und hätte so gerne mit ihr gesprochen. Heimlich ging er in den Stiftshof, denn auch von dort konnte er sie am Fenster stehen sehen.
Da begann er zu singen und sie hörte es. Sie schaute hinunter und war sehr überrascht, als sie ihn erblickte; denn einen nichtgeistlichen Mann sah man im Stiftshof nicht alle Tage. Er sang so schön, dass sie ganz erfreut war. Da geschah es, dass sie sich in ihn verliebte. Sie traute sich aber nicht, ihm etwas hinunterzurufen. Er sah jedoch, dass sie eine Freude hatte, seinem Gesang zu lauschen. Da rief er hinauf: „Holde Maid! Seid Ihr eine von den Fräulein, die zum Nonnenstand berufen sind?“ Wehmütig sagte sie zu ihm: „Ja, das bin ich!“ „Ihr klingt schwermütig; seid Ihr denn nicht glücklich?“ „Meine Eltern wollen, dass ich Nonne werde.“ Sie sagte dies aber so traurig, dass er merkte, wie unglücklich sie darüber war. Er sprach: „So muss es wohl sein! Leider, Ihr wärt eine schöne Ehefrau!“ Sie errötete und versteckte ihr Gesicht hinter ihrem Schleier. Plötzlich stand da eine Nonne mit finsterem Blick im Hof. „Was fällt dir ein, hier zu singen und mit den adeligen Töchtern zu tratschen?“ Da erschrak der junge Mann und bekam keine Antwort heraus. „Geh weg von hier!“, befahl sie und er eilte fort. Da er aber nun gar nicht mehr aufhören konnte, an sie zu denken, wollte er unbedingt wieder ins Kloster.
Er dachte sich aber: „Die lassen mich nicht mehr hinein!“ Traurig ging er in den Wald hinein. Da erschien ihm ein Fuchs mit einer goldenen Pfote. Er erschrak darüber, aber der Fuchs sprach: „Fürchte dich nicht! Ich kenne dein Leid! Du liebst ein Mädchen, das nicht erreichbar zu sein scheint.“ „Ja, verliebt bin ich! Aber woher weißt du das?“ „Ach, wundere dich nicht darüber! Ich will dir helfen, wenn du mir versprichst, mir einen Gefallen zu tun!“ „Sag, wie soll ich dir helfen?“ „Wenn du meine goldene Pfote berührst, wirst du für einen Tag lang für alle unsichtbar sein, außer für die adelige Tochter. Du musst dafür in ein Schloss am Fuße des Massenberges und dort den Drachen erschlagen! Wenn du ihn tötest, bin ich befreit und wieder ein Mensch! Tust du es aber nicht, wirst du deine Geliebte verlieren!“ Der Mann willigte ein, berührte die Pfote des Fuchses und war dadurch unsichtbar. Die Pfote war nun nicht mehr golden. Der Mann bedankte sich und eilte in das Kloster. Er wurde von niemandem gesehen und ging in den Stiftshof. Als seine Geliebte aber nicht am Fenster erschien, ging er in das Stiftsgebäude hinein und suchte ihre Kammer. Er klopfte an die Türe und sie öffnete ihm. „Verzeiht, dass ich Euch erschrecke! Durch einen Zauber konnte ich unbemerkt hereingelangen. Wollt Ihr denn nicht mit mir fliehen? Geld hab ich keines, aber die Freiheit kann ich Euch schenken.“ Sie blickte in seine Augen und schwieg kurz. Dann sprach sie: „Mein Herz sagt Ja, die Vernunft Nein. Was soll ich tun?“ „Wählt das, was Euch glücklicher macht.“ „Dann werde ich mit Euch kommen, so einfältig das auch ist.“ So flohen die beiden, nur eine Nonne sah die junge Frau hinauseilen, konnte den Mann aber nicht sehen. Sie rief dem Mädchen zu, aber es hörte nicht. Die Nonne erzählte das den anderen, die darüber sehr erschraken.
Der Mann floh mit ihr in sein altes Holzhäuschen und war so glücklich, dass er auf den Drachen im Schloss vergaß. Als ein Monat vergangen war, ritt ein vornehmer Mann am Holzhäuschen vorbei. Der junge Mann, der die adelige Tochter befreit hatte, war nicht zu Hause. Sie arbeitete im Garten und sah den Edelmann. Dieser war so erfreut über ihre Schönheit, dass er zu ihr redete. Als er erfuhr, dass sie adelig war, wollte er sie heiraten, doch sie sagte: „Ich liebe bereits einen anderen. Er hat mich aus dem Kloster befreit und ich bin mit ihm glücklich.“ Doch der Edelmann wollte nicht hören und redete weiter auf sie ein. Er versprach ihr Gold, Juwelen, edelste Kleider und alles, was ihr Herz begehrte. Zögerlich willigte sie ein und ritt mit ihm fort. Als ihr einstiger Geliebter nach Hause kam, fand er sie nicht mehr. Er suchte sie und fragte alle Leute, doch er fand sie nicht mehr. Weinend ging er in den Wald, in dem er den Fuchs mit der goldenen Pfote gesehen hatte. Da erblickte er ihn wieder. Auch die Pfote war wieder golden. Der junge Mann sprach: „Wieso ist meine Liebe verschwunden? Du musst mir helfen!“ „Das fragst du auch noch? Hast du denn dein Versprechen ganz vergessen?“ Da fiel es dem jungen Mann wieder ein und er schämte sich.
Sodann ging er zum Schloss und klopfte an die Tür. Es öffnete ihm aber niemand. So machte er die Tür auf und ging hinein. Es schien niemand im Schloss zu sein. Als er die Treppe hinaufgegangen war, hörte er ein lautes Schnarchen. Da erblickte er den Drachen, der tief und fest schlief. Der Mann hatte einen großen Ast mitgenommen, um ihn damit zu erschlagen, aber der Drache war aufgewacht und wollte den Mann mit Feuer bespeien. Dieser lief die Treppe hinunter, aber ein riesiger Feuerstrahl raste auf ihn zu. Noch im letzten Augenblick konnte er sich in einem Nebenraum verstecken. Dort fand er eine kleine Statue. Er sagte sich: „Wenn ich die dem Drachen auf den Kopf werfe, ist er wohl besiegt!“ Er hob die Statue auf, die schwerer war, als er gedacht hatte, und ging wieder in den Hauptsaal. Dort stand schon der wütende Drache, der zornig mit tiefer Stimme rief: „Halt! Lass die Statue! Sie ist mein wertvollstes Gut! Stell sie wieder hinein!“ Doch der Mann hörte nicht darauf. Der Drache wollte ihn bespeien, aber er hatte Angst um die Statue, die vor diesem stand, und so wusste er nicht, was er tun sollte. Dem Mann war die Statue nun aber doch zu schwer, um sie auf den Drachen zu werfen. Der wurde aber so zornig, dass er Feuer um sich herumspie, bis er selbst vom Feuer getroffen wurde. Denn er hatte es nicht in Richtung seiner geliebten Statue getan und in der Angst, sie zu treffen, und aus Unachtsamkeit sich selbst getroffen.
Da lief der Mann aus dem Schloss heraus und war froh. Als er zu Hause ankam, war da wieder seine Geliebte. Auch ein Jüngling war dort. Dieser sprach zum Mann: „Vielen Dank! Du hast mich errettet! Ich bin der Fuchs gewesen und nun ist auch deine Geliebte wieder hier. Sie war nämlich verzaubert, weil du dein Versprechen nicht eingehalten hattest, und folgte daher dem Edelmann.“ Der Mann und seine Geliebte waren jetzt überglücklich und heirateten bald darauf.
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