Der geschenkte Apfelbaum

Ein Märchen von Anders Baumgartner

Der geschenkte Apfelbaum

Es war einmal ein junges Ehepaar, das lebte in einem Häuschen am Rande der Stadt. Eines Tages bekam es von der Großmutter des Mannes ein kleines Apfelbäumchen geschenkt. Die Eheleute waren nicht besonders erfreut über das recht mickrige Gehölz, weil sie schon mehrere guttragende Bäume im Garten hatten. Sie pflanzten es aber dennoch, wenn auch widerwillig, ein. In den nächsten zwei Jahren wuchs der Apfelbaum kräftig heran und trug wunderschöne Früchte. Bald nachdem die Frau die ersten Äpfel gegessen hatte, wurde sie schwanger. Sie und ihr Mann waren sehr überrascht, da sie bisher kinderlos geblieben waren. Das Kind, das sie gebar, war ein Junge. Dieser schien Haare zu haben, die in der Sonne nahezu golden leuchteten. In jenem Jahr trug der Apfelbaum keine Früchte, sondern tat es erst wieder im darauffolgenden. Da aßen der Mann und seine Frau erneut von den köstlichen Früchten. Sie wurde erneut schwanger und gebar ein Mädchen. Auch dieses hatte goldblonde Haare. Der Apfelbaum trug jedoch nur alle zwei Jahre Früchte und als ein Jahr gekommen war, in dem der Mann und seine Frau wieder die Früchte hätten genießen können, kam ein Gewitter und vernichtete die Äpfel. So mussten sie wieder zwei Jahre warten, um die Früchte ernten zu können.

Die Frau war aber jedoch schwanger geworden und gebar ein Mädchen, das keine golden anmutenden Haare hatte. Im Jahr darauf trug der Baum wieder üppig Früchte und das Ehepaar aß reichlich davon. Und noch einmal wurde die Frau schwanger und gebar ein Mädchen, das aber goldenes Haar hatte. Fünf Jahre darauf starb der Mann und die Witwe musste allein ihre vier Kinder großziehen. Sie liebte aber diejenigen mit den goldblonden Haaren viel mehr als die Tochter mit dem Namen Margarethe, die keine goldenen Haare hatte. Daher ließ sie diese die meiste Hausarbeit machen. Als Margarethe ihre Mutter eines Tages fragte, warum die anderen Geschwister nicht so viel Hausarbeit machen müssten, antwortete die Mutter: „Sie haben doch so wunderschöne Haare! Sollen sie sich diese bei der Arbeit schmutzig machen?“

Als der Sohn erwachsen war, vermählte sie ihn mit einer jungen Frau, die aus einer vornehmen Familie war. Es verliebte sich bald darauf ein junger Edelmann in die älteste Tochter. So erlaubte die Mutter auch die Hochzeit der beiden. Margarethe träumte bereits von dem Tag, an dem sie heiraten würde. Als nach einiger Zeit des Öfteren ein junger Edelmann im Haus zu Besuch war, dachte sich Margarethe: „Will meine Mutter mich mit diesem Mann verheiraten?“ Sie freute sich und war sehr gespannt. Immer wieder redete sie mit dem jungen Mann und sie verstanden sich gut. Sie konnte es kaum erwarten, dass ihre Mutter sie miteinander vermählen würde. Während den Besuchen musste Margarethe auch immer wieder Hausarbeit machen und sah daher den Edelmann meist nicht viel. Eines Tages lief die jüngere Schwester zu Margarethe und rief voller Freude: „Ich habe dir eine wunderbare Nachricht zu verkünden! Ich werde den Edelmann heiraten!“ Da erschrak Margarethe und dachte sich: „Wie kann es sein, dass meine jüngere Schwester vor mir heiratet?“

Sie ging zu ihrer Mutter und fragte sie: „Warum hast du mich jetzt noch nicht verheiratet, aber Alexandra lässt du den Edelmann ehelichen?“ Da antwortete die Mutter: „Kind, du bist neidisch! Du vergönnst deiner Schwester den Mann nicht. Auch du wirst noch einen bekommen, aber du darfst nicht missgünstig sein!“ Margarethe mochte den Gedanken nicht, neidisch zu sein, fragte aber: „Ich dachte mir bloß, weil ich älter bin, werde ich früher heiraten!“ „Lass das jetzt, Kind! Du darfst nicht immer an dich denken, das ist nicht gut!“ Margarethe war traurig und verärgert darüber und wäre am liebsten fortgegangen, wenn sie es nur hätte tun können. Sie ging aber zum Bach im nahen Wald und weinte dort. Die Schwester heiratete bald den Edelmann und nur Margarethe blieb bei ihrer Mutter, um für sie zu putzen und zu kochen. Aber bald konnte die Mutter auch nicht mehr ihrer Arbeit als Näherin nachgehen und verlangte von ihrer Tochter, auch das zu tun. Eines Tages fragte sie ihre Mutter: „Warum verheiratest du mich nicht? Alle meine Geschwister sind längst in einer Ehe!“ „Margarethe, du weißt doch, dass mir jemand helfen muss, wo ich alt werde! Du bist die einzige Unverheiratete und willst deiner armen Mutter nicht mehr beistehen?“ „Doch, das will ich schon! Aber ich kann trotzdem einen Mann haben und dir helfen.“ „Nein, du hättest nicht mehr so viel Zeit für mich. Denn einen reichen Mann, der uns ernährt, würdest du niemals bekommen. So bekämst du auch noch einen, der nichts hat und mit dem du noch mehr Arbeit hättest.“ Die Tochter war deswegen sehr traurig.

Ein paar Jahre später kam ein vornehmer Mann in die Stadt. Er hatte aber einen Diener mit sich, der sich ein wenig mit schwarzer Magie auskannte und einen Ring besaß, mit dessen Hilfe er Zauberkräfte und Flüche aufspüren konnte. Weil der Edelmann ehelichen wollte, hatte er seinen Diener beauftragt, ihm die richtige Frau suchen zu helfen. Da leuchtete der Ring am Finger des Dieners auf und es wurde immer stärker, bis sie zum Haus Margarethes kamen. „Hier sollten wir halten! Dort, wo ein sonderbarer Baum mit Zauberkraft wächst, ist Eure zukünftige Geliebte! Ich sehe hinter diesem Haus einige Bäume.“ So hielt die Kutsche dort und der Edelmann klopfte an die Tür. Da machte Margarethes Mutter auf und er sprach: „Seid gegrüßt! Lang bin ich gereist und suche eine Unterkunft für eine Nacht!“ Sie ließ den Edelmann und den Diener hinein. Da sahen sich Margarethe und der vornehme Gast und sie fanden Gefallen aneinander. Als sie im Garten waren, leuchtete der Ring des Dieners nahe dem Apfelbaum noch stärker auf. Da wusste er, dass dieser besonderen Kräfte hatte. „Wir sind hier richtig!“, vertraute er seinem Herrn an. Am nächsten Tag, bevor sie fahren wollten, hielt der Edelmann um Margarethes Hand an. Die Mutter war sehr überrascht und sprach: „Wir sind doch nur arme Leute!“ „Das macht nichts, ich habe mit Eurer Tochter geredet und sie würde gerne heiraten!“ So stimmte die Mutter zu und der Edelmann und Margarethe heirateten.

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