Der Hut des Fuchses

Ein Märchen von Anders Baumgartner

Der Hut des Fuchses

Es war einmal eine junge Frau namens Amalie, die arbeitete bei einer reichen Dame, die ein großes Haus besaß. Amalie war aber so vertrauenswürdig, dass die Hausherrin ihr stets voll und ganz vertraute. Eines Tages musste die reiche Dame für ein paar Tage verreisen. Daher rief sie Amalie zu sich und sagte zu ihr: „Morgen werde ich wegfahren und nach drei Tagen wiederkommen. Ich habe aber sehr wertvolle Schmuckstücke in meiner Schatulle hier; die stelle ich in mein Schlafzimmer. Niemand darf da hinein. Ich weiß aber, dass ich dir vertrauen kann!“ Am nächsten Tag fuhr die reiche Dame fort, Amalie blieb jedoch im Haus und putzte. In der Nacht, als sie in ihrem Kämmerlein schlief, wachte sie plötzlich durch einen ungeheuren Lärm auf. Sie erschrak sehr und traute sich nicht, die Tür zu öffnen. Als das Lärmen vorbei war, öffnete sie ängstlich die Tür und warf einen Blick hinaus in den dunklen Flur, mit einer Kerze in der Hand.

Da sie niemanden erblickte, verließ sie zögernd ihre Kammer und sah sich um. Als sie vor dem Schlafzimmer ihrer Herrin stand, merkte sie, dass die Türe einen Spalt geöffnet war. Amalie begann zu zittern und machte langsam die Tür ganz auf. Sie erschrak, als sie sah, dass die Schatulle nicht mehr da war. „Jemand muss sie gestohlen haben!“, schrie sie auf. Dann durchsuchte sie das ganze Haus und sah das offene Fenster, durch welches der Dieb hereingekommen sein musste. „Was soll ich jetzt denn bloß machen?“, sprach sie weinend. „Jetzt wird meine Herrin vielleicht glauben, dass ich die Schatulle gestohlen habe!“ Als es Tag wurde, ging sie zum Waldesrand, der gleich hinter dem Haus lag, denn sie suchte nach Fußspuren des Diebes.

Da erschien plötzlich ein Fuchs. Sie grüßte ihn und sprach: „Fuchs, kannst du mir nicht helfen? Du bist schlauer als die meisten anderen Tiere! Weißt du, wer im Haus meiner Herrin eingebrochen hat?“ Er antwortete: „Woher soll ich das wissen? Ich war nicht da, als das geschehen ist!“ Sie begann zu weinen und dem Fuchs tat sie so leid, dass er sagte: „Hör doch auf zu weinen! Ich könnte dir einen Hut leihen, dem ich einst einem Magier stibitzt habe! Mit diesem Hut kannst du alle Winde hören und sie fragen, wer denn eingebrochen ist!“ „Das soll gehen?“, fragte sie verwundert. „Ja“, antwortete er, „ich habe ihn selbst schon ein paarmal ausprobiert! Komm mit mir mit!“ Er ging los und sie folgte ihm. Tief im Wald war der Bau des Fuchses, darin lebte er. Da kroch er hinein und kam mit dem besagten Hut heraus. „Diesen musst du tragen, wenn du sagst:

‚Hört, Winde, die ihr in alle Richtungen weht,
an welchem Ort ihr auch immer bloß entsteht!
Sagt mir, wo ich den Dieb finden kann,
seid so freundlich und gütig, sagt’s mir an!‘

Dann werden die Winde dir antworten und du wirst sie mithilfe des Hutes verstehen.“ Da bedankte sich Amalie vielmals bei dem Fuchs und ging zu einer Lichtung im Wald, in der die Winde besser zu spüren waren. Dann setzte sie den blauen Hut auf und sprach:

„Hört, Winde, die ihr in alle Richtungen weht,
an welchem Ort ihr auch immer bloß entsteht!
Sagt mir, wo ich den Dieb finden kann,
seid so freundlich und gütig, sagt’s mir an!“

Da konnte sie die Worte der Winde vernehmen und einer von ihnen sagte:

„Es war ein Ungeheuer, das den Schmuck gestohlen hat,
doch wir haben es nicht mehr gesehen nach der Tat,
weil wir anderswo wehen mussten dann,
es gibt nur mehr einen, der dir helfen kann!
Geh auf den Berg, da weht ein seltener Wind,
der weiß wohl, wo sich der Dieb befind‘!“

Da bedankte sich Amalie, ging zum Fuchs und erzählte ihm dies. „Dann geh hinauf, dort oben wehen mehr Winde als im Tal!“ Sie ging los und als sie nach einer Weile bei einer Almwiese ankam, spürte sie die lieblichen Höhenwinde wehen. Da setzte sie sich wieder den Hut auf und sagte den Spruch. Da antworteten ihr lauter Winde, dass sie nicht wüssten, wo sich das Ungeheuer befinde, denn es habe mehrere Schlösser. Doch da sagte plötzlich ein leises Windchen zu ihr:

„Ich wehe nicht im Tal, nur auf den Bergen oben,
meine Kenntnisse wirst du sehr bald loben!
Ich weiß, wo sich das Ungeheuer aufhält,
es ist im Schloss, welches ihm so sehr gefällt!
Drei Hügel nach Osten, dann zum Bach,
da siehst du ein Schloss im Wald danach!
Aber fürchte doch nicht das Tier,
denn es schläft stets am Tage hier!
Der Schmuck ist in der Schlafkammer,
also es ende nun dein Jammer!“

Amalie bedankte sich und ging schnell den Weg zum Schloss des Ungeheuers. Bald wurde es aber Abend und sie dachte sich: „Wo soll ich denn schlafen, wenn die Nacht hereinbricht?“ Plötzlich fand sie das Schloss mitten im Wald. Sie hatte Angst hineinzugehen, aber da der Wind gesagt hatte, dass das Ungeheuer tags schlafe, machte sie zögernd die Tür auf. Sie wusste jedoch nicht, wo sich die Schlafkammer befand. „Muss ich jetzt das große Schloss durchsuchen?“, fragte sie sich. Plötzlich hörte sie ein lautes Schnarchen, das aus dem oberen Stockwerk zu kommen schien. Voll Furcht ging sie hinauf und als sie vor einer Tür stand, bei der das Schnarchen am lautesten zu vernehmen war, öffnete sie sie, da der Wind gesagt hatte, dass der Schmuck in der Schlafkammer sei. Da erblickte sie tatsächlich die Schatulle auf einem edlen Kasten.

Im Bett lag aber das Ungeheuer mit seinen langen Zähnen, die aus dem Maul herausstanden. Es hatte große Tatzen, lange Krallen und sehr langes, zerzaustes Haar. Amalie erschrak sehr bei dem Anblick, ließ sich jedoch nicht beirren, nahm die Schatulle und verließ die Kammer. Es dämmerte aber schon der Abend und als Amalie die Treppe hinuntergehen wollte, stolperte sie über den Teppich, der dort ausgelegt war. Dabei fiel ihr die Schatulle aus der Hand und die Schmuckstücke fielen heraus. „Ach, oh Schreck!“, sagte sie und begann die Schmuckstücke, die auf der Treppe verstreut waren, einzusammeln. Es war aber schon ein wenig finster geworden und plötzlich konnte man das Schnarchen nicht mehr hören. „Oh nein“, sagte sie, „ist das Untier nun aufgewacht?“ Sie wollte noch einen Ring einsammeln, aber als sie auf einmal Schritte hörte, fiel er ihr vor Schreck aus der Hand und rollte die Treppe hinunter. Also rannte sie hinunter, doch da hörte sie eine sehr dunkle Stimme fragen: „Du wagst es?“ Sie blickte hinauf zum Ende der Treppe und sah das fürchterliche Ungeheuer oben stehen. Die Angst überfiel sie und sie begann zu zittern. „Was fällt dir ein, in mein Schloss einzudringen und mich zu bestehlen?“, fragte das Ungeheuer. Amalie nahm ihren ganzen Mut zusammen und sprach: „Der Schmuck gehört meiner Herrin!“ „Nun ist er in meinem Schloss und daher gehört er mir! Und da du jetzt mein Schloss kennst, muss ich dich töten!“ „Nein, bitte, lass mich leben! Ich bitte dich!“, flehte Amalie. „Du wirst mich verraten. Ich kann dir nicht trauen.“ Da fiel ihr der Hut, den sie in ihre Achsel gezwängt hatte, auf den Boden und das Ungeheuer fragte: „Was ist das für ein Hut?“ „Den habe ich von einem weisen Fuchs geliehen, mit ihm kann ich alle Winde verstehen.“

Da war das Ungeheuer sehr überrascht und ging langsam auf sie zu. Sie fürchtete sich aber sehr und wollte ihm nicht in sein erschreckendes Gesicht sehen. Doch es sprach: „Wenn du mir diesen Hut gibst, dann überlass ich dir den Schmuck und lasse dich am Leben!“ „Würde ich gern, aber der Hut gehört dem Fuchs!“ „Du bist eine wirklich sture Göre! Alles willst du behalten! Dann wirst du aber dein Leben verlieren!“ „Nun gut! Dann nimm dir den Hut, überlasse mir den Schmuck für meine Herrin und lass mich gehen!“ Sie gab ihm den Hut und es sprach: „So sei es! Aber verrate ja niemandem, wo ich lebe, und lass dir niemals wieder einfallen, hierherzukommen. Denn von nun an lasse ich Dornen um mein Schloss herum wachsen, die jeden aufspießen werden.“ Amalie wollte noch den Ring suchen, der ihr hinuntergefallen war, doch da sagte das Ungeheuer: „Da unter dem Tisch liegt er! Nimm ihn und verschwinde!“ Amalie fand ihn, tat ihn in die Schatulle zu den anderen und verließ das Schloss. Es war aber stockdunkel geworden und weil sie sich im tiefen Wald befand, bekam sie Angst.

Da hörte sie einen Wolf heulen und sie erschrak sehr. „Ach, ich bin stets Gefahren ausgesetzt! Wäre ich nur daheim!“ Plötzlich stand sie in dem Haus, in dem ihre Herrin lebte. „Wie konnte das denn nur geschehen?“, fragte sie sich. Sie legte die Schatulle in die Schlafkammer ihrer Herrin zurück und legte sich schlafen. Am nächsten Tag ging sie zum Fuchs, der ihr den Hut geliehen hatte, und sie erzählte ihm, was sie erlebt hatte. „Tut mir leid, dass ich dir den Hut nicht zurückgeben kann“, sprach sie, „aber ich hatte keine andere Wahl.“ „Ich bin dir nicht böse wegen des Hutes, wenn jedoch das Ungeheuer ihn hat, dann hat es noch viel mehr Macht. Ich kenne es, es ist sehr wendig, flink und klug. Wenn es durch die Winde noch mehr Wissen hat, kann das unglaublich gefährlich sein.“ Sie erschrak und sagte: „Aber niemand kann es aufhalten, denn in sein Schloss gelangt man nicht mehr.“ „Allerdings hat es mehrere Schlösser. Man müsste bloß wissen, wo und wie man es besiegen kann. Ach ja … was ist denn nun mit dem Schmuck deiner Herrin? Was hat es damit auf sich? Das Ungeheuer wird nicht gewöhnlichen Schmuck stehlen. Womöglich hat er Zauberkräfte und dich nach Hause zurückgebracht.“

Da staunte Amalie und fragte: „Glaubst du, meine Herrin ist eine Hexe?“ „Das kann ich nur sagen, wenn ich den Schmuck sehe.“ Dann gingen beide zum Haus und der Fuchs sah sich den Schmuck an und sprach: „Ja, das ist Zauberschmuck. Aber wie wir das Ungeheuer besiegen sollen, weiß ich leider nicht. Denn der Schmuck wird nicht stärker als die Macht des Ungeheuers sein. Ich muss mir noch überlegen, was wir machen sollen.“ Der Fuchs ging wieder in den Wald und am nächsten Morgen kam die Hausherrin zurück. Als diese in die Schatulle sah, sagte sie zu Amalie: „Wer hat mit meinem Schmuck gezaubert? Er hat weniger Zauberkraft.“ Da erschrak Amalie sehr und weil sie nicht lügen konnte, antwortete sie: „Er wurde von einem Ungeheuer gestohlen und ich habe den Schmuck mit Mühe gefunden. Dann habe ich mich versehentlich nach Hause gezaubert. Ich wusste nicht, dass er das kann.“ „Amalie, ich bin dir doch nicht böse! Du konntest doch nichts dafür! Das Ungeheuer sammelt Zauberdinge, ich weiß von ihm!“

Amalie erzählte auch vom Fuchs und seinem Hut. Da erschrak die Herrin und sprach: „Da müssen wir etwas tun! Weißt du was? Wir werden die Winde zu Hilfe bitten. Ich werde ihnen verkünden, dass ich nun noch mehr und stärkere Zauberdinge an einem Ort versteckt habe. Wenn das Ungeheuer die Winde fragt, werden sie ihm das erzählen und es in die Falle locken. Aber wir gehen auf den Berg, da gibt es mehr Winde, die uns hören werden.“ „Das muss ich alleine machen, denn immerhin bin ich schuld!“ „Du bist doch nicht schuld, mein Liebes! Aber wenn du hinaufgehst, wäre ich dir sehr dankbar, denn ich kann nicht mehr so gut gehen mit meinem Alter!“ Am nächsten Tag ging Amalie wieder auf den Berg und verkündete mit lauter Stimme allen Winden, die da oben wehten, dass sie das Ungeheuer in die Falle locken sollten. Dann ging sie wieder zu ihrer Herrin zurück und grub danach auf deren Geheiß ein Loch hinter dem Haus und legte einen schweren Stein darüber. Zwei Nächte darauf kam das Ungeheuer und war durch die Winde auf die Lüge hereingefallen, dass in der Grube die Zauberdinge versteckt seien. Es entfernte den großen Stein und wollte hineingreifen. Doch da auch der Fuchs in den Plan eingeweiht war, hatte er sich im Gebüsch versteckt und den Dieb gehört. Er rannte auf seinen Rücken zu und schupfte das Ungeheuer in die Grube. Dann warf der Fuchs noch den Stein auf das Ungeheuer und es wurde damit besiegt. Am nächsten Morgen erzählte das fleißige Tier alles Amalie und der Hausherrin. Beide freuten sich sehr und blieben mit dem Fuchs befreundet und besuchten ihn oft.

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