Die Kette

Ein Märchen von Anders Baumgartner

Es war einmal ein junges Paar, das liebte sich innig. Er hieß Johannes und seine Geliebte Marta. Aber die Eltern wollten nicht, dass die beiden heiraten. Der Vater von Johannes wollte mit seiner Familie das Dorf verlassen, damit sich das Paar nicht mehr sehen konnte. Als sich dieses das letzte Mal sah, gab Marta ihrem Geliebten eine Kette und sagte: „Trage die hier immer bei dir, damit du mich nicht vergisst.“ Da antwortete er ihr: „Ich könnte dich niemals vergessen.“ „Du musst sie aber nehmen und bei dir tragen und dann erinnere dich daran, nach drei Monaten zu mir zu kommen. Dann werde ich mit dir fliehen und wir werden glücklich sein.“ Er nahm die Kette und fragte: „Nach drei Monaten?“ „Ja“, antwortete sie, „dreimal soll der Vollmond erscheinen. Wenn du dann nicht bei mir bist, weiß ich, dass du mich vergessen hast.“ „Ich kann dich nicht vergessen!“, sagte er und sie verabschiedeten sich.

Eine Stunde später verließ Johannes mit seiner Familie das Dorf. Er passte aber auf die Kette gut auf. In dem Dorf, in dem er nun leben musste, wohnte aber eine Familie, die eine wunderschöne Tochter hatte. Alle bewunderten sie wegen ihres Aussehens. Aber es geschah, dass sich diese in Johannes verliebte. Daher wollte sie ihn zum Heiraten überreden. Doch er blieb standhaft, denn er hatte stets die Kette bei sich, die ihn an seine Marta erinnerte. Das bemerkte die schöne Frau und sie fragte ihn: „Was hat es denn mit deiner Kette auf sich?“ Er antwortete: „Die hat mir meine Geliebte geschenkt. Durch diese Kette denk ich stets an sie.“ Da fasste sie den Entschluss, sie ihm wegzunehmen. Ein paar Tage später stahl sie seine Kette, als er diese in seinem Zimmer liegen gelassen hatte. Dadurch vergaß er tatsächlich seine Geliebte und dachte fast gar nicht mehr an sie. Aber bald waren die drei Monate vergangen. Als Marta in ihrem Zimmer zum vierten Mal den Vollmond am Himmel sah, wusste sie, dass ihr Geliebter sie vergessen hatte. Sie begann zu weinen und war todunglücklich. Da rief sie zum Mond: „Du gibst der Nacht etwas Licht, aber für mich scheint das Licht nicht mehr. Mein Liebster hat mich vergessen. Könntest du mir nur helfen, dass mein Johannes sich an mich erinnert und zu mir kommt.“ Johannes ließ sich aber von der schönen Frau im Dorf dazu überreden, sie zu heiraten. Am Tag vor der Hochzeit fuhr sie mit der Kutsche ein paar Ortschaften weiter weg und warf die Kette in den Bach. Sie lachte und sprach: „Nun ist auch das vollbracht und ab morgen gehört Johannes mir.“ Die Kette wurde aber vom Bach fortgeschwemmt.

Am nächsten Tag musste Johannes auf dem Weg zur Kirche über eine Holzbrücke gehen, unter der der Bach floss. Die Kette hatte sich aber im Gestrüpp am Bach verfangen und war von der Brücke aus zu sehen. Da erblickte Johannes die Kette und erinnerte sich plötzlich an Marta. Er fühlte in seinem Herzen einen starken Schmerz und rannte zum Gestrüpp. Mit Mühe schaffte er es, an die Kette zu gelangen. Seine Eltern sahen dies und verstanden nicht, was es damit auf sich hatte. Er betrachtete die Kette und dachte wehmütig an Marta. Seine Eltern mussten ihn auffordern, weiterzugehen. Als Johannes dann in der Kirche seine Braut sah, empfand er einen großen Schmerz und wollte seine Marta wiedersehen. Daher sagte er vor allen Leuten, dass er nur Marta liebe, worüber alle in der Kirche erschraken. Die Braut wurde fuchsteufelswild und sagte zu ihm voll Zorn: „Ich schwöre hier vor dem Altar, dass ich mich rächen werde!“

Johannes fuhr aber mit der Kutsche zu seiner Marta, die krank vor Kummer in ihrem Zimmer lag. Als sie ihn sah, freute sie sich und sie wurde schnell wieder gesund. Ihre Eltern erlaubten daraufhin, dass die beiden heiraten. Die schöne Frau des anderen Dorfes, die Johannes Rache geschworen hatte, hatte aber eine Großmutter, die zaubern konnte. Diese gab ihrer Enkelin eine Hagebutte und sprach: „Grab diese Frucht vor dem Haus dieser Marta ein und daraus wird ein herrlicher Rosenstock wachsen. Wenn sie eine Rose pflückt, wird daraus eine Schlange, die sie töten wird.“ Die Böse tat es und vergrub die Hagebutte heimlich. Am nächsten Tag stand da ein wunderschöner Rosenstock vor Martas Haus. Erstaunt ging diese zu ihm hin und pflückte eine Rose, welche sich sofort in eine Schlange verwandelte, die Marta zu Tode biss. Als Johannes nach Hause kam, sah er seine Frau tot neben dem Rosenstock liegen. Er wurde traurig und begann zu weinen. Seine Tränen fielen auf ihre Bisswunden. Da wurde sie wieder lebendig und erzählte ihm, was vorgefallen war. Daraufhin fällten sie den Rosenstock und verbrannten ihn. Die alte Zauberin verlor dadurch all ihre Macht und das junge Paar lebte glücklich bis an sein Ende.

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