Es war einmal ein König, der hatte eine Tochter, die war das Leben auf der Burg leid. Sie musste sich als Prinzessin stets vornehm und anständig benehmen und fühlte sich von niemandem auf der Burg verstanden. Eines Tages wurde ein neuer Küchenjunge in der Burgküche angestellt. Die Prinzessin erfuhr davon und da sie sehr neugierig war, ging sie zur Küche, um ihn zu sehen. Doch da fiel ihr ein, dass ihr Vater ihr verboten hatte, die Küche zu betreten. Als sie nun vor der Küchentür stand, hielt sie inne und überlegte, was sie machen könnte, um den Jungen zu sehen. „Vater will ja nicht, dass ich mit den niederen Bediensteten spreche“, sagte sie sich, „aber ich will es trotzdem tun.“ Plötzlich verließ der Junge tatsächlich die Küche und hatte einen Sack mit Abfall in der Hand. Als die Prinzessin ihn erblickte, war sie sehr erfreut. Er sah die Prinzessin, erschrak aber ein wenig, weil sie so edle Kleider trug. Da sie ihre Krone aber in ihrem Zimmer gelassen hatte, wusste er nicht, dass es die Prinzessin war. So sagte er: „Guten Tag, Fräulein! Du bist bestimmt eine hohe Dame, wo du so schöne Kleider trägst.“
Da begann sie zu lächeln und sprach: „Du scheinst dich mit den Regeln der Burg nicht auszukennen. Du duzt eine vornehme Dame! Aber es macht mir nichts aus, denn du bist ganz anders als die vornehmen Bediensteten!“ Da erschrak er und sagte: „Oh, tut mir leid!“ „Nein, nein! Es macht nichts! Was hast du denn da in der Hand?“ „Das sind Abfälle, die muss ich wegtragen! Aber Ihr erzählst dem König nichts davon, dass ich Euch duzte, oder? Wer seid Ihr denn eigentlich?“ Da erschrak sie ein wenig und sagte: „Ach, ich bin nur eine Grafentochter. Wer bist du?“ „Der Hans. Jetzt muss ich aber leider weiterarbeiten.“
Die Prinzessin ging aber in der nächsten Zeit öfters zur Küche und traf hie und da den Küchenjungen. Sie liebte es, mit ihm zu reden. Denn er war einfach und ehrlich und sie konnte bei ihm so sein, wie sie wollte. Aber der König sah sie eines Tages vor der Küche stehen. Da fragte er sie: „Was stehst du denn da? Kannst du das Essen nicht mehr erwarten?“ Sie erschrak und wusste nichts zu antworten. „Jetzt geh in deine Kammer!“, befahl er und sie gehorchte. Am Abend, nach dem Essen, schlich sie sich heimlich zur Küche und sah den Jungen wieder, wie er gerade heim zu seiner Familie gehen wollte. Er arbeitete nämlich tags in der Burg, aber schlief im Häuschen seiner Familie. Sie sagte traurig zu ihm: „Wir können uns nicht mehr sehen. Mein Vater erlaubt es mir nicht, hier vor der Küche zu stehen.“ Da sagte Hans: „Wer ist denn nun Euer Vater?“ „Der König ist es! Ich bin die Prinzessin!“ Sie hatte ihre Krone mitgenommen und zeigte sie ihm. Da erschrak er sehr und errötete. „Nein“, sagte sie, „ich bin doch bloß ein Mensch wie du! Erschrick nicht! Ich will keine Prinzessin sein und nicht wie eine behandelt werden!“ „Bin ich denn wert, mit einer Prinzessin befreundet zu sein?“, fragte er sich.
Doch sie forderte ihn auf, sie wie bisher zu behandeln. Hans beruhigte sich langsam wieder und sprach nach einer Weile: „Vielleicht wird sich der Zorn Eures Vaters wieder legen. Bis dahin werde ich euch Nachrichten in Euer Essen tun. Dann könnt Ihr etwas von mir lesen. Da Ihr am liebsten Gänse esst, werdet Ihr im Gänsebraten eine Nachricht finden.“ Die Prinzessin begann zu weinen, umarmte ihn und sprach: „Ach, das ist gut. Aber wie gern würde ich dich sehen.“ „Das werden wir wieder!“ Als die Prinzessin wieder einen Gänsebraten aufgetischt bekam, fand sie in ihm ein Stück Stoff, auf dem stand:
„Niemals allein sollt Ihr sein,
das sag ich, Prinzessin fein.
Freude soll hinein in Eurer Herz,
es soll verschwinden der Schmerz.“
Da begann sie vor Freude zu weinen, aber der König fragte überrascht: „Was ist denn los?“ Sie antwortete: „Nichts, oh Vater, ich habe bloß vor Freude geweint.“ Der König blickte bloß verdutzt und fragte: „Wieso denn? Du hast doch bloß einen Gänsebraten bekommen.“ Die Nachricht war aber auf einem Stück Stoff geschrieben, weil der Junge kein Blatt Papier hatte. Eine Woche später bekam die Prinzessin wieder einen Gänsebraten. Darin fand sich erneut eine Nachricht. Auf dem Stück Stoff stand:
„Mein Herz sehnt sich nach einem Wiedersehen,
leider dürft Ihr nicht mehr zur Küche hingehen.
Ich würde so gerne etwas von Euch hören,
würde Euer Vater uns nur nicht stören!“
Da begann sie wieder zu weinen und der König schüttelte nur den Kopf. Zwei Tage später wurde ein Fest in der Burg gefeiert und der König und seine Tochter bekamen Kuchen aufgetischt. Hans tat eine Nachricht in einen Kuchen, von dem er dachte, dass die Prinzessin ihn bekommen würde. Er wurde aber dem König gegeben. Wie erstaunte dieser, als er das Stück Soff fand, auf dem stand:
„Prinzessin, könnt Ihr nicht zur Küche gehen,
ich müsst Euch dort etwas so sehr gestehen.“
Da wurde der König wütend und fragte die Prinzessin: „Wer hat das geschrieben?“ Sie erschrak aber heftig und wollte keine Antwort geben. „Sag es mir, du weißt es bestimmt! Schweigst du, bestrafe ich dich!“, sagte er voll Zorn. Sie begann zu weinen und wimmerte: „Es ist jemand von der Küche.“ „Wer ist es?“ „Versprich mir, ihn nicht in den Kerker zu werfen!“ „Ich verspreche es dir bei meiner Ehre als König!“ „Es ist der Küchenjunge Hans! Ich mag ihn so sehr!“ Da stand der König auf, rief: „Das Fest ist zu Ende! Sofort!“ Augenblicklich hörte die Musik auf und die Menschen verstummten. Der König rief wutentbrannt zwei Diener und befahl ihnen: „Der Küchenjunge Hans darf nicht mehr hier arbeiten! Werft ihn aus der Burg!“ Die Diener gehorchten, aber die Prinzessin schrie: „Vater, seid barmherzig!“ „Schweig! Du sollst auch deine gerechte Strafe bekommen! Von morgen an sollst du für ein Jahr lang in der Küche als Magd arbeiten, damit du siehst, wie es wäre, eine arme Frau sein.“ Am nächsten Tag gingen der König und die Prinzessin in die Küche. Der König sagte den Bediensteten dort: „Meine Tochter soll zur Strafe ein Jahr lang hier arbeiten. Schont sie nicht; sie soll auch die niedrigste Arbeit machen.“ Dann ging der König, aber die Prinzessin musste in der Küche bleiben und Geflügel rupfen. Sie musste auch nachts neben den anderen Mägden der Küche schlafen, da sie ihr Zimmer nicht betreten durfte.
Da begann sie nachts in ihrem Schlaflager zu weinen. Das hörte eine andere Magd und sie bekam Mitleid. Sie flüsterte der Prinzessin zu: „Ihr seid traurig, weil ihr arbeiten müsst.“ Darauf antwortete die Prinzessin: „Nein.“ „Ihr seid traurig, weil Euer Vater böse auf Euch ist.“ „Ein wenig auch.“ „Wieso denn noch?“ „Ich habe Liebeskummer, glaube ich.“ Da schwieg die Magd kurz. Dann sprach sie leise: „Der Hans, nicht wahr?“ Die Prinzessin schreckte auf und fragte: „Woher wisst Ihr das?“ „Auch er war traurig. Ich half ihm, die Gedichte zu schreiben.“ „Du bist ein lieber Mensch.“ „Nein, das bin ich nicht. Ich habe das nur für meine Verwandlung getan. Denn ich bin vor zwölf Jahren von einem Männlein verzaubert worden, weil ich so hinterhältig und bösartig war. Ich wäre eigentlich vierzig Jahre jünger und bin die Tochter eines reichen Mannes. Doch durch den Fluch bin ich eine alte, arme Magd. Erst wenn ich einem Menschen wahrhaft helfen würde, würde ich zurückverwandelt werden. Oder ich sollte … es hätte geschehen sollen.“ „Warum ist es nicht geschehen?“ „Ich weiß es nicht. Jedenfalls ist es bis jetzt nicht passiert. Obwohl ich schon zweiundzwanzig Menschen geholfen habe. Was soll ich machen? Ich kann nur anderen helfen. Auch mit Zauberei.“ „Wie denn?“ „Morgen wirst du Äpfel schälen und schneiden. Nimm ein paar Kerne und wirf sie aus dem Fenster. Dann wirst du schon sehen, was es dir bringen wird.“ Dann schliefen beide ein.
Am nächsten Tag musste die Prinzessin Äpfel schälen und schneiden. Da sagte die Magd, mit der sie in der Nacht gesprochen hatte: „Nun, werft doch die Kerne hinaus!“ Die Prinzessin nahm sie und warf sie beim Fenster hinaus. Doch nur ein Kern rührte sich und keimte plötzlich. Der Sämling wuchs aber innerhalb von einem Monat zu einem Apfelbaum heran, der zum Fenster der Küche und auch über die Burgmauer reichte. In einer Nacht sagte die Magd zur Prinzessin: Nimm diese drei Eier hier. Die können dich und deinen Liebsten verwandeln.“ „Wie soll das gehen?“, fragte die Prinzessin erstaunt. „Schlage ein Ei auf und sag:
‚Wie die Schalen sind entzwei,
sei nun die alte Hülle vorbei,
wir sollen etwas anderes sein,
das wäre doch sehr fein!‘“
Dann erzählte die Magd ihr, wo der Küchenjunge lebte. Daraufhin schliefen sie ein. Am nächsten Tag sagte die Magd zur Prinzessin: „So klettert doch mithilfe des Baumes aus der Burg heraus.“ Diese zögerte, aber ließ sich nun doch dazu überreden. Dann sprach die Magd zu ihr: „Ich habe stets den anderen nur geholfen, damit ich zurückverwandelt werde. Aber jetzt helfe ich euch, weil ihr zwei mir von Herzen leidtut.“ Die Prinzessin bedankte sich, umarmte die Magd, nahm die drei Eier, die sie von ihr bekommen hatte, und ging zum Fenster. Die anderen Bediensteten in der Küche standen abseits und waren mit der Arbeit beschäftigt. So konnte die Prinzessin unbemerkt auf den Apfelbaum klettern, dessen Zweige zum Fenster reichten. Sie kletterte im Baum bis zur Mauer, die die Burg umgab. Da sah sie, dass ein Ast über die Mauer zum Boden außerhalb der Wehranlage reichte. Sie kletterte ihn hinunter und eilte zu ihrem Liebsten.
Doch in der Küche wurde ihre Abwesenheit bemerkt und außer der einen Magd wusste niemand, wo sie war. Da sagte eine andere Küchenmagd: „Vielleicht ist sie über den Baum entwischt!“ „Ach, wenn wir das dem König erzählen!“, rief der Koch erschrocken. Da sie die Prinzessin nicht mehr fanden, meldeten sie es dem König und der sprang voll Wut auf und schrie: „Das darf doch nicht wahr sein! Diener! Geht zum Haus des einstigen Küchenjungen Hans! Vielleicht ist meine Tochter dort! Bringt sie mir, wenn ihr sie findet!“ Die Diener eilten dorthin, doch die Prinzessin und Hans sahen sie und konnten noch gerade rechtzeitig fliehen. Die beiden rannten in den Wald, bis sie nicht mehr laufen konnten. Da fielen der Prinzessin die Eier ein und sie schlug eines auf. Dann sprach sie:
„Wie die Schalen sind entzwei,
sei nun die alte Hülle vorbei,
wir sollen Wildschweine sein,
das wäre doch sehr fein!“
Da wurden die beiden plötzlich Wildschweine. Als die Diener die Tiere sahen, erschraken sie sehr. Sie wichen zurück und beobachteten sie. Bevor es dunkel wurde, kehrten die Diener zurück ins Dorf und ritten zur Königsburg zurück. Sie berichteten dort: „Wir sahen dann bloß nur mehr zwei Wildschweine, die innig beisammen waren.“ Da antwortete der König: „Wenn das nur meine Tochter und der Junge waren.“ Am nächsten Tag mussten die zwei Diener wieder in den Wald und sahen die Wildschweine wieder beisammen. Das meldeten sie dem König und der sprach: „Wo hat man so was gesehen, dass zwei Wildschweine treu zusammen sind? Das werden die Gesuchten sein, jemand muss sie verwandelt haben.“ Da ließ er mehrere Diener aussenden, um die Tiere einzufangen. Doch die beiden bemerkten das und die Prinzessin zerschlug ein Ei mit ihren Wildschweinhauern und sprach:
„Wie die Schalen sind entzwei,
sei nun die alte Hülle vorbei,
wir sollen Wölfe sein,
das wäre doch sehr fein!“
Da wurden beide augenblicklich Wölfe und die Diener sahen sie und waren erstaunt, wie inniglich beisammen die zwei wilden Tiere waren. Da sie die Wildschweine nicht mehr fanden, kehrten sie zum König zurück und berichteten ihm von den Wölfen. Der König sprach: „Wo hat man so was gesehen, dass zwei Wölfe außerhalb eines Rudels wie tief verliebt zusammen sind? Das müssen die Gesuchten sein!“ Am nächsten Tag suchten noch mehr Diener nach den Wölfen. Die Prinzessin und Hans liefen vor Angst davon, weil es so viele waren, die sie verfolgten. An einer Lichtung im Wald, mussten die beiden Wölfe kurz rasten. Da sahen sie zwei Schmetterlinge um ein paar Blumen fliegen. Da begann die Prinzessin zu weinen und sagte:
„Könnte es uns nur gelingen
wie zwei Schmetterlingen,
miteinander zu fliegen,
all die Trübsal zu besiegen.
Ohne Sorgen, die uns trennen,
keine Worte, die uns treffen,
keine Zweifel, die uns plagen,
keine Feinde, die Böses wagen.
Der Menschen Kummer wäre fort,
wir wären glücklich an diesem Ort.
Denn die Schmetterlinge leben froh,
sind stets ohne Qualen sowieso.“
Da sagte Hans: „Nimm doch das letzte Ei! Lass uns zu Schmetterlingen werden!“ Da nahm sie das Ei, zerstörte die Schalen mit ihren Zähnen und sagte:
„Wie die Schalen sind entzwei,
sei nun die alte Hülle vorbei,
wir sollen Schmetterlinge sein,
das wäre doch sehr fein!“
Da wurden die beiden zu Schmetterlingen. Als die Diener in die Lichtung gelangten, suchten sie noch immer nach den Wölfen. Da sie sie aber nicht mehr fanden, beendeten sie nach ein paar Stunden die Suche. Nur ein Diener bemerkte die zwei schönen Schmetterlinge, die die Prinzessin und Hans waren. „Wie unzertrennlich die zwei doch sind!“, sagte er sich und wusste nicht, dass es die zwei Gesuchten waren. Der Anblick der zwei unzertrennlichen Schmetterlinge verwunderte ihn aber nicht. Dann kehrten die Diener zum König zurück. Dieser begann sich mit der Zeit aber große Sorgen zu machen. Je länger er nichts mehr von seiner Tochter hörte, desto geringer wurde sein Zorn und desto größer wurde sein Kummer. Eines Tages ging eine recht junge Frau in den Wald, wo die zu Schmetterlingen Verwandelten lebten. Als die Frau die beiden fand, sagte sie:
„Nun sei es vorbei
mit der Zauberei!“
Da bekamen die Schmetterlinge ihre frühere Gestalt zurück. Die beiden erschraken und die Prinzessin fragte: „Wer bist du?“ Da antwortete die Frau: „Ich war einst die Küchenmagd, die euch geholfen hat. Weil ich zum ersten Mal ganz ohne Eigennutz anderen half, durfte ich meine frühere Gestalt zurückerhalten. Nun will ich euch noch einmal helfen. Wenn ihr in die Burg zurückkehren wollt, müsst ihr sehen, ob der König euch noch zürnt. Wenn ihr Greifvögel über der Burg seht, dann sollt ihr sie nicht betreten. Fliegt ein schöner, friedlicher Vogel über der Burg, könnt ihr getrost hinein! Nun werde ich nichts mehr zaubern und niemandem mehr helfen können. Lebt wohl!“ Die beiden bedankten sich vielmals und gingen zur Burg. Sie sahen aber einen Geier über der Burg. Da blieben sie die Nacht im nächsten Dorf. Am nächsten Tag gingen sie wieder zur Burg und sahen einen Falken, einen Greifvogel, über der Burg. So blieben sie noch eine Nacht im nächsten Dorf. Am Tag darauf gingen sie noch einmal zur Burg und sahen eine schneeweißen Taube über der Burg fliegen. So wussten sie, dass sie hineinkonnten, denn der Zorn des Königs war nun vollends verflogen. Dieser freute sich, als er seine Tochter sah, und auch den Jungen. Er sprach: „Ich war zu streng und habe euch zu hart gestraft. Der Liebe darf ich mich nicht widersetzen, denn sie ist höher als meine Regeln. Sie hat größere Gesetze als ich.“ Der König ernannte Hans zum Herzog und ein Jahr später ließ er die beiden heiraten. So wurde aus dem einstigen Küchenjungen ein König. Die Prinzessin, die zur Königin gekrönt wurde, war nun glücklich in der Burg und sie lebte mit ihrem Gemahl glücklich bis an ihr Ende.
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