Es war einmal ein Mädchen, das hatte eine böse Stiefmutter. Eines Tages ging das Mädchen in den Wald, weil es Beeren pflücken musste. Dort fand es einen schönen Ring auf dem Boden liegen. Er gefiel ihm sehr, doch es wollte ihn nicht nehmen, da es Angst hatte, dass ihn jemand verloren hatte. Da hörte es plötzlich eine Stimme, die sagte: „Nimm den Ring mit nach Haus, sprich nur deine Wünsche aus!“ Da fürchtete sich das Mädchen sehr und ging nach Hause, ohne den Ring genommen zu haben.
Am nächsten Tag ging es wieder in den Wald, um Beeren zu pflücken, nahm jedoch einen anderen Weg. Da sah es erneut den Ring liegen, aber an einer anderen Stelle als am Vortag. Eine Stimme sprach wieder: „Nimm den Ring mit nach Haus, sprich nur deine Wünsche aus!“ Das Mädchen bekam wieder Angst und ging nach Hause. Dort wurde die Stiefmutter aber böse, weil das Mädchen auch diesmal so wenig Beeren mitgebracht hatte. Die Stiefmutter sagte zornig: „Morgen musst du so lange Beeren pflücken, bis diese drei Körbe hier voll sind! Sonst lass ich dich nicht mehr ins Haus!“ Da erschrak das Mädchen, da die Körbe recht groß waren und es nicht in den Wald gehen wollte, weil es Angst hatte, wieder die sonderbare Stimme zu hören.
Am nächsten Tag ging es noch einmal in den Wald, nahm jedoch einen ganz anderen Weg. Bald fand es aber wieder den Ring und die Stimme sagte: „Nimm den Ring mit nach Haus, sprich nur deine Wünsche aus!“ Da war es ganz verzweifelt, denn es durfte nicht heim, solange es nicht alle drei Körbe voll hatte. Dabei war erst einer zur Hälfte gefüllt. In seiner Angst sagte es nur laut: „Ach, ich wünschte, die drei Körbe wären voll mit Himbeeren!“ Auf einmal waren die Körbe mit Beeren gefüllt. Es erschrak heftig und verstand nicht, wie das geschehen konnte. Da sprach die Stimme: „Einen Wunsch hat der Ring erfüllt hier, nimm den Ring doch mit zu dir!“ Da fragte das Mädchen schüchtern: „Wer spricht da?“ Doch es kam keine Antwort. Es wurde nun aber neugierig und versuchte, sich noch einmal etwas zu wünschen. Das Mädchen sagte: „Ich wünsche mir noch eine Handvoll Erdbeeren in einem der Körbe!“ Da erschien augenblicklich tatsächlich eine Handvoll Erdbeeren und das Mädchen probierte eine davon. Da sie so köstlich war, aß es alle Erdbeeren auf. Dann hörte es wieder die Stimme sprechen: „Einen Wunsch hat der Ring erfüllt hier, nimm den Ring doch mit zu dir!“ Es ging zum Ring hin, hob ihn vorsichtig auf und nahm ihn mit. Als es zu Hause ankam, war die Stiefmutter überrascht über die große Menge Himbeeren, die das Mädchen so schnell mitgebracht hatte. Sie herrschte es an: „Na, siehst du! Du faules Ding wolltest die letzten Tage nichts tun! Dabei gibt es reichlich Himbeeren im Wald!“
Das Mädchen bekam aber wenig zu essen bei seiner bösen Stiefmutter. Daher hatte es stets Hunger. Eines Tages fuhr die Stiefmutter in die Stadt und verlangte vom Mädchen, dass es ein großes Mahl bereite, da Gäste kommen würden. Als die Stiefmutter das Haus verlassen hatte, wollte das Mädchen an die Arbeit gehen. Doch da fiel ihm plötzlich der Ring ein. Es holte ihn aus seinem Kämmerlein und sagte in der Küche: „Ich wünsche mir einen reich gedeckten Tisch!“ Da war dieser voll mit Köstlichkeiten: Suppe, Hühnchen, ein großer Braten, Wurst, Käse, Kuchen, Kekse, Früchte und die besten Getränke. Da hörte man wieder die Stimme sprechen: „Einen Wunsch hat der Ring erfüllt hier, der Ring bleibe doch nun stets bei dir!“ Es hatte aber großen Hunger und bei dem Anblick der Speisen lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Das Mädchen setzte sich also an den Tisch und aß, was es nur konnte. Nachdem es satt war, wünschte es sich wieder einen voll gedeckten Tisch und es geschah. Als die Stiefmutter mit ihren Gästen nach Hause kam, fanden sie das reichliche Mahl und waren sehr überrascht. Sie ließen es sich schmecken und eine Dame sagte: „So gut habe ich schon lange nicht mehr gegessen! Du musst eine wunderbare Köchin daheim haben!“ Die anderen Gäste stimmten ihr zu. Die Stiefmutter war aber verwundert, da sie nicht wusste, woher ihre Stieftochter so viel Fleisch herhatte, da so viel gar nicht daheim gewesen war.
Was die Stiefmutter von nun an dem Mädchen befahl, erfüllte es stets auf hervorragende Weise mithilfe des Rings. Die Stiefmutter wurde dadurch sehr misstrauisch. Eines Tages befahl sie dem Mädchen, Äpfel sammeln zu gehen. Denn sie hatten wunderbare Apfelbäume hinter dem Haus. Das Mädchen ging in sein Kämmerlein, holte den Ring und ging zum Apfelbaum, dessen Früchte bereits reif waren. Die Stiefmutter hatte sich aber hinter einem großen Strauch versteckt und beobachtete ihre Stieftochter genau. Diese hatte den Ring in der Hand und sagte: „Ich wünsche, dass alle Äpfel von diesem Baum in den Körben sind!“ Sofort fielen die Äpfel vom Baum in die aufgestellten vier Körbe hinein. Da sprach die Stimme: „Einen Wunsch hat der Ring erfüllt hier, der Ring bleibe doch nun stets bei dir!“ Da wusste die Stiefmutter, dass das Mädchen einen Ring besaß, der Wünsche erfüllen konnte. Sie wurde sehr zornig und dachte sich etwas aus. In der Nacht ging die Stiefmutter mit einer Kerze leise in das Kämmerlein des Mädchens, das fest schlief. Es hatte darin bloß ein Bett und einen kleinen Kasten. Die Alte öffnete den Kasten und fand dort neben Kleidern den Ring, den sie mitnahm und gegen einen anderen austauschte, der recht ähnlich aussah.
Am nächsten Morgen befahl die Stiefmutter dem Mädchen, die Äpfel des zweiten Baumes zu pflücken. Wäre es nicht innerhalb von zehn Minuten fertig, müsse es die Nacht draußen schlafen. Das Mädchen holte den ausgetauschten Ring und sprach den Wunsch aus. Doch es erschrak heftig, als nichts geschah. Es konnte sich kaum besinnen, doch dann begann es, die Äpfel zu pflücken. Aber es hatte nicht einmal die Hälfte des ersten Korbes voll, da kam die Stiefmutter und schimpfte: „Du faules Ding! Gestern warst du so schnell und jetzt brauchst du so lange, wo du heute hättest schneller sein müssen! Du bist nur faul! Diese Nacht schläfst du draußen!“ Da bat das Mädchen, dass es im Haus schlafen dürfe, aber es half nichts. Die Stiefmutter ging zurück ins Haus und sagte leise: „Na warte! Du hast mich betrogen und nun kommt die Rache!“ Sie setzte sich an den Tisch, nahm den echten Wunderring und sagte: „Ich wünsche mir ein köstliches Festmahl mit den leckersten Speisen. Der Tisch soll überreichlich gedeckt sein!“ Da deckte sich der Tisch und war voll mit Köstlichkeiten. Sie stürzte sich gierig auf das Essen und aß alles alleine auf. Nach dem Mahl bekam sie aber Bauchschmerzen und ihr wurde speiübel. Sie legte sich daraufhin schlafen, doch dies half nicht recht. Dann fiel ihr ein, die Bauchschmerzen wegzuwünschen, und sagte: „Ich wünsche mir, dass mein Mahl mir keine Beschwerden mehr verursacht.“ Da waren die Bauchschmerzen und die Übelkeit fort, doch dann stach es ihr im Rücken. Erbost wünschte sie sich das weg und bekam dann aber Beinschmerzen. Da legte sie sich schlafen und am nächsten Morgen fühlte sie sich besser.
Das Mädchen weinte aber bitterlich und war untröstlich. Es fragte sich: „Warum erfüllt denn der Ring mir keine Wünsche mehr?“ Dann betrachtete es ihn genau und erkannte, dass der Ring ein wenig anders aussah. Es konnte es sich aber nicht erklären. Die Stiefmutter quälte das Mädchen mehr als je zuvor. Es bekam nur mehr Essensreste, musste von früh bis spät selbst sinnlose Arbeit tun und wurde ständig bestraft und ausgeschimpft. Eines Tages dachte sich die Stiefmutter: „Was leb ich in diesem armseligen Haus? Ich kann mir doch alles wünschen.“ Dann sprach sie: „Ich wünsche mir ein großes Schloss. Es soll prächtig sein.“ Da bebte es und aus dem Haus wurde ein großes Schloss mit mehreren Stockwerken und edlen Türmen. Da lief das Mädchen zur Stiefmutter und fragte, wie das passieren konnte. „Was geht dich das an?“, herrschte die Alte es an und ließ es im Garten arbeiten. Doch das war der Bösen nicht genug. Sie sagte: „Ich wünsche mir drei Diener!“ Diese erschienen sogleich. Des Abends merkte sie, dass die Decke und die Wände in einem Saal Risse hatten. Da fragte sie einen Diener, warum das so sei. Der antwortete: „Das Schloss könnte einstürzen. Die Mauern können das Gewicht wohl nicht tragen.“ Sie bekam große Furcht und sagte: „Ich wünsche mir, dass das Schloss nicht einstürzt!“ Da verschwanden die Risse. Sie ging zu ihrer Stieftochter, die arbeiten musste, und sagte zu ihr: „Du kannst nicht im Schloss schlafen! Geh hinaus!“ Die Arme erwiderte: „Hab Mitleid! Auf dem kalten, harten Boden muss ich schlafen?“ „Dann nimm dein Bett und stell es hinaus, du dumme Gans!“, herrschte sie das Mädchen an und ging in ihr Schlafgemach. Es hatte aber schon Verdacht geschöpft, dass seine Stiefmutter den Ring besaß, bekam ihn jedoch nie zu Gesicht, weil diese ihn stets vor dem Mädchen verbarg.
Als aber am nächsten Morgen die Stiefmutter aufwachte, sah sie, dass da wieder Risse in der Wand waren und die Decke des Saales drohte, einzustürzen. Da sprach sie: „Ich wünsche mir, dass das Schloss nicht einstürzt!“ Die Risse verschwanden sogleich. Trotzdem war die Stiefmutter erbost darüber und verließ das Bett. Aber auch ihre Diener gingen nur träge der Arbeit nach. Da sagte sie: „Ich wünsche, dass mir die Diener auf Schritt und Tritt folgen und gehorchen!“ Da ließen die Diener sie fast nicht mehr allein und folgten ihr ständig und überallhin, was sie sehr zornig machte. Die Leute aus der Umgebung staunten aber alle sehr über das Schloss, das da mitten auf den Feldern lag. Es sprach sich im halben Land herum und sogar der König erfuhr davon. „Was soll dort im Tälchen, zwischen den bewaldeten Bergen, abseits von den Städten so ein Schloss stehen, wo ich doch die Schlösser des Landes kenne? Wer mag darin wohnen?“, fragte er sich. Der Prinz antwortete: „Vater, lasst mich dorthin fahren. Ich will sehen, ob das wirklich stimmt!“ Der Prinz wollte aber nicht eine adelige Frau heiraten, da er sie alle hasste. Doch sein Vater, der König, hatte es ihm verboten, eine nicht adelige Frau zu heiraten. Daher hatte er bestimmt: „Du darfst nur eine zur Frau nehmen, die in einem Schloss wohnt!“
Die böse Stiefmutter des Mädchens war aber nicht froh in ihrem Schloss. Dauernd drohte es einzustürzen; die vom Ring gewünschten Mahlzeiten vertrug sie schlecht und die Diener nervten sie auch sehr. In ihrer Unzufriedenheit wollte sie ihrer Stieftochter etwas Böses wünschen. Sie sprach voll Zorn: „Ich wünsche mir, dass meine Stieftochter zur Kröte wird!“ Da der Ring dem Mädchen nichts zuleide tun konnte, aber ein Wunsch doch auf eine Art erfüllt werden musste, verwandelte er die Stiefmutter in eine Kröte. Die Diener sahen es und erschraken sehr. Als das Mädchen nach seiner Arbeit auf dem Feld wieder in das Schloss ging und die Diener nach der Stiefmutter fragte, verwiesen diese auf die Kröte. Das Mädchen konnte es fast nicht glauben und sah den Ring auf dem Boden liegen. Es hob ihn auf und da es die Risse in den Mauern sah, sagte es: „Ich wünsche mir, dass das Schloss nicht einstürzt.“ Augenblicklich verschwanden die Risse, es entstanden Pfeiler, die die Decken stützten, und die Schlossmauern wurden verstärkt und auch derart verziert, dass das Gebäude noch schöner aussah als je zuvor. Da sprach die Stimme: „Einen Wunsch hat der Ring erfüllt hier, der Ring bleibe doch nun stets bei dir!“ Bald darauf klopfte jemand an das Schlosstor. Ein Diener eilte hin und öffnete es. Da stand der Prinz davor und wollte mit dem Schlossherrn sprechen. Das hörte das Mädchen, es erschrak sehr und sagte: „Ich wünsche mir ein edles Kleid!“ Plötzlich erschien ein wunderschönes Kleid, das es sofort anzog. Da sprach die Stimme wieder: „Einen Wunsch hat der Ring erfüllt hier, der Ring bleibe doch nun stets bei dir!“ Das Mädchen ging zum Prinzen, verneigte sich und sprach: „Eure Hoheit! Ich lebe hier!“ Da war er sehr erstaunt und fragte, ob es denn vermählt sei. Da das Mädchen Nein sagte, wollte er es heiraten, weil es freundlich und schön war. Er fuhr mit dem Mädchen in sein Schloss und sprach zu seinem Vater: „Ihr habt gesagt, dass ich nur eine Frau heiraten soll, die in einem Schloss lebt. Diese junge Frau hat in einem gewohnt. Ich will sie heiraten.“ Da der König sah, dass das Mädchen schön und sittsam war, erlaubte er die Hochzeit. Sie heirateten und lebten glücklich bis an ihr Ende.
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