Es war einmal ein König, der war angesehen und hatte ein großes Reich. Eines Tages verliebte er sich in eine Prinzessin, als er ein Gemälde von ihr erblickte. Da fasste er den Entschluss, zu ihr zu reisen. Als er in ihrer Burg war und sie freite, sagte sie ihm, dass sie ihn nicht heiraten könne, da sie bereits verlobt sei. Er war sehr zornig darüber und fuhr in sein Reich zurück. Als er wieder in seiner Burg war, ließ er die größten Zauberer und Hexen seines Landes zu sich rufen. Er wünschte sich von ihnen, dass sie ihm das ganze Land der Prinzessin verhexten. Doch ein großer Zauberer sagte zum König: „Eure Hoheit! Ihr verlangt gar viel! Ein ganzes Land zu verzaubern ist unmöglich, selbst wenn alle Hexen und Zauberer daran arbeiten.“ Der König wurde zornig und befahl: „Was ich verlange, muss geschehen!“ Da antwortete der Zauberer in einem scharfen Ton: „Ihr wisst, dass wir Zaubermacht haben und Ihr uns fürchten müsst. Aber Wunder können wir keine vollbringen. Wir tun gerne ein böses Werk, aber wir sind nicht allmächtig.“ „Tut, was ihr könnt!“, befahl der König. Daraufhin sagten die Zauberer und Hexen einen Zauberspruch, der das Land der Prinzessin verfluchte. Es wurde alles verwunschen, nur bis ganz in den Westen des Landes reichte der Zauber nicht. Aber alles, was verwunschen war, wurde träge. Nicht nur die Menschen, sondern auch die Tiere und die Pflanzen, die viel langsamer wuchsen und blühten. Auch die Flüsse und Bäche flossen nur mehr langsam. Nur ganz im Westen des Landes gab es drei kleine Dörfer, die nicht verhext waren, also wo alles wie früher war. Gingen aber Menschen aus diesen drei Dörfern in den verzauberten Teil des Landes, wurden auch diese träge.
Als der Fluch zu Ende gesprochen war, sagte der große Zauberer aber daraufhin zum König: „Seht her! Da ist ein schwarzer Apfel! Nehmt ihn an und verwahrt ihn wohl! Solange ihm nichts geschieht, wird der Fluch bestehen. Wird er aber zerstört, hört der Zauber auf. Das verfluchte Land wird immer träger werden, bis es ganz erstarrt. Dann verschwindet der Apfel von selbst.“ Der König ließ den sonderbaren Apfel aber in einer Kammer aufbewahren. In einem Dorf, das nicht verwunschen war, lebte ein Müller. Als er erfuhr, dass fast alles im Land träge wurde, erschrak er und ging in den Wald, um nachzudenken. Da sah er einen hohlen Baumstumpf, aus dem plötzlich eine Stimme zu ihm rief: „Habe keine Angst! Ich bin ein freundlicher Waldgeist. Dein Land wurde verflucht von vielen Zauberern und Hexen deines Nachbarlandes. Der König dort wollte Rache, weil eure Prinzessin bereits verlobt ist und ihn abweisen musste! Du aber suche dir einen hilfreichen Gefährten. Wenn du ihn gefunden hast, komm mit ihm wieder hierher und gehe mit ihm in den Baumstumpf hinein, denn der führt in einen magischen Gang unter der Erde. Wenn ihr durch diesen geht, werdet ihr bald im Reich des bösen Königs herauskommen.“ Der Müller gehorchte und ging in das nächste Dorf, weil er in seinem eigenen keinen Menschen mutig genug fand. Da fand er einen kräftigen Mann, der Schmied war. Der Müller dachte sich, dieser sei geeignet für die Reise. Er fragte den Schmied, ob er denn mit ihm kommen möchte. Doch der antwortete barsch: „Nein, Abenteuer brauche ich keine.“ Dann ging er weiter und sah einen jungen Bauern auf dem Feld arbeiten. Er ging zu ihm und fragte ihn, ob er ihm helfen wolle. Aber der antwortete: „Nein, das will ich nicht! Ich kann mein Feld nicht verlassen!“
Der Müller ging weiter und kam zum Schuster des Dorfes, denn er dachte sich: „Wenn ich schon eine Reise machen muss, so brauche ich gute Schuhe!“ Dann ging er in das Haus hinein und sah den Schuster, der als ein sehr geschickter Meister auch im Dorf des Müllers wohlbekannt war. Da fragte der Müller ihn, ob er ihn denn begleiten wolle. Der Schuhmacher zögerte etwas, doch dann sprach er: „Wenn ich unser Land retten kann, dann will ich helfen.“ So zogen beide los zum hohlen Baumstumpf. Da sprach die Stimme: „Wenn ihr im Land des Königs seid, müsst ihr in seine Burg gelangen und den schwarzen Apfel zerstören, weil er den Fluch aufrechterhält. Ihr dürft ihn aber nicht berühren. Das muss euch gelingen, bevor euer Land ganz erstarrt ist.“ Da fragte der Müller: „Aber wie sollen wir denn in die Burg gelangen?“ Die Stimme antwortete: „Hier im Baumstumpf liegt ein Glöckchen. Nimm es mit und pass gut darauf auf. Wenn ihr vor der Burg steht, die sich im Westen der Hauptstadt befindet, läute es, dann werdet ihr für eine Stunde lang zu Gänsen. Dann werden Mägde der Burg glauben, ihr seid ihnen entkommen und euch hineinbringen. Aber passt auf, dass ihr nicht erwischt werdet, wenn ihr euch zurückverwandelt. Läutest du noch einmal, dann werdet ihr die Sprache des anderen Landes eine Stunde lang verstehen und sprechen können! Und läutest du ein drittes Mal, werdet ihr für eine Stunde lang unverwundbar sein. Behalte das Glöckchen aber auch dann noch bei dir, denn es kann dir weiterhin von Nutzen sein.“
Der Müller und der Schuster krochen in den hohlen Baumstumpf und sahen das genannte Glöckchen auf dem Boden liegen. Da nahm der Müller es mit. Darauf sahen er und der Schuhmacher für kurze Zeit nur Finsternis, bis sie dann plötzlich durch einen anderen hohlen Baumstumpf herauskamen. Nun waren sie aber im anderen Land und mussten mehrere Tage gehen, bis sie zur Burg des Königs gelangten, denn das Land war sehr groß. Als sie vor der gewaltigen Burg standen, nahm der Müller das Glöckchen und läutete damit. Da wurden beide augenblicklich zu Gänsen. Zwei Wachen der Burg hörten aber die laut schnatternden Vögel und einer meldete den Mägden in der Vorburg, wo sich die Ställe und Scheunen befanden, dass zwei Gänse unbemerkt entwischt seien. Da lief eine Magd eilig heraus und trieb die zwei Gänse hinein.
Als die beiden dann drinnen waren, wollten sie der Magd heimlich entkommen, doch diese ließ es nicht zu und trieb sie in einen Stall. Aber als sie sich den anderen Tieren zuwandte, bekamen plötzlich beide wieder ihre menschliche Gestalt zurück. Als die Magd sich umdrehte und die beiden sah, erschrak sie sehr und schrie auf. „Wo seid ihr denn nun auf einmal her?“, fragte sie erschrocken. Da läutete der Müller das Glöckchen und plötzlich konnten er und der Schuster die Sprache des anderen Landes verstehen und sprechen. Der Schuhmacher sagte aber, dass er hier etwas verloren habe, welchen Beruf er ausübe und dass sein Gefährte ein Lehrling sei. Da sprach die Magd: „Nun, wenn du ein Schuster bist, dann richte mir meine kaputten Schuhe! Dann erzähle ich niemandem, dass ihr hier wart!“ Der Schuster richtete schnell und meisterhaft ihre Schuhe und die Magd ließ die beiden gehen. Die beiden schlichen sich unbemerkt in das Burggebäude, in dem der König wohnte. Da hörten sie, wie zwei Diener über den kostbaren schwarzen Apfel, der in einer kleinen Kammer versteckt sei, sprachen.
Der Müller und der Schuster wollten sich in die Kammer schleichen, doch sie war fest verschlossen. Plötzlich konnten die beiden die Landessprache nicht mehr verstehen. Da läutete der Müller wieder das Glöckchen und da er und der Schuster nun unverwundbar waren, schlugen sie mit ihren Händen die Türe ein, ohne sich dabei zu verletzen. In der Kammer war ein kleines Tischchen, auf dem der schwarze Apfel lag. Als der Müller ihn sah, wollte er ihn zerstören. Doch da rief der Schuster: „Halt! Wir dürfen ihn nicht berühren!“ „Ach, welch ein Glück, dass du mich daran erinnert hast!“, sagte der Müller erleichtert. Da nahm der Schuster eine Nadel aus seiner Jackentasche und durchlöcherte damit den Apfel, ohne ihn mit der Hand zu berühren. Dann eilten beide aus der Burg heraus und als die Wachen sie sahen, konnten sie ihnen nichts tun, denn sie waren unverwundbar.
Der König wollte sich aber den schwarzen Apfel ansehen und in die Kammer gehen. Wie erschrak er, als er die eingeschlagene Türe sah und auf dem Tischchen nur mehr Matsch fand. „Wo ist der Apfel?“, schrie er. Ein Diener kam herbeigelaufen und fragte: „Was wünscht Ihr, Eure Majestät?“ „Was ist mit dem Apfel?“, wollte der König wissen. „Welcher Apfel?“ Der König wurde nur noch wütender und brüllte: „Der Apfel! Du weißt doch!“ „Oh, Ihr habt Hunger! Ich hole Euch einen!“, antwortete der Diener. „Nein! Nein! Der schwarze Apfel! Was ist mit ihm passiert?“ „Wir haben keine schwarzen Äpfel! … Oh, ich verstehe … Ach, du meine Güte!“ Der König tobte und wollte wissen, wer eingebrochen sei. Niemand wusste es, nur die Wachen, die die zwei Unverwundbaren nicht fassen konnten. „Ihr Dummköpfe habt sie entkommen lassen!“, schrie der König und war außer sich vor Zorn. Dann ließ er den Müller und den Schuster nach der Beschreibung der Wachen suchen. Eine Hexe erfuhr davon und spürte die beiden auf. Sie waren unter einer großen Eiche eingeschlafen, da es Abend geworden war. So legte die Hexe einen wunderschönen Spiegel mit einem vergoldeten und verzierten Rahmen neben dem Müller hin und verschwand. Als die beiden am nächsten Morgen aufwachten, sahen sie den Spiegel, über den sie sehr staunten. Doch als sie ihr Spiegelbild darin betrachten wollten, warnte sie das Glöckchen, das von selbst zu läuten begann und sprach:
„Halt! Werft keinen Blick hinein!
Das würde sonst euer Ende sein!“
Da erschraken beide sehr und der Müller nahm das Glöckchen aus seiner Hosentasche heraus und fragte es: „Wer hat uns den Spiegel gebracht?“ Da antwortete das Glöckchen:
„Eine böse Hexe war es doch,
spätabends tat sie es noch.
Wenn man sich im Spiegel sieht,
einen ewige Starre überzieht.“
Der Schuster und der Müller warfen keinen Blick in den Spiegel, nahmen ihn aber zum Schutz mit sich mit und gingen weiter. Die Hexe hatte jedoch dem König gemeldet, dass sie sie gefunden hatte. So ließ er Soldaten aussenden, die sie gefangen nehmen sollten. Die Soldaten konnten aber die beiden bei der großen Eiche nicht mehr finden, da sie bereits weitergegangen waren. Als die Soldaten das dem König meldeten, wurde er zornig. Die Hexe konnte aber weit ins Land sehen mit ihrer Zaubermacht. Da erblickte sie die beiden auf einem Feld nahe einer großen Stadt. Dorthin eilten die Soldaten, die mit ihren schnellen Pferden bald in der Gegend waren und die beiden nach einer Weile fanden. Diese erschraken sehr, doch der Müller nahm den Spiegel, den er in seine Jacke eingewickelt hatte, um nicht aus Versehen hineinzublicken, und hielt ihn den Soldaten vor das Gesicht. Da wurden diese augenblicklich starr. Das sah auch die Hexe von der Ferne aus, da sie noch in der Burg des Königs weilte. Sie sprach ernst: „Wenn sie weitergehen, kann ich sie bald nicht mehr sehen.“ Da schrie der König: „Das darf doch nicht wahr sein, dass wir diese zwei Tölpel nicht erwischen! Meine Soldaten sind unfähig! Hexe, fliege du mich doch dorthin! Dann sind wir gleich bei ihnen und ich töte sie mit meinem Schwert oder du mit deiner Zauberkraft!“ „Ihr verlangt viel von mir. Ich bin doch keine derart mächtige Hexe. Aber ich denke, Euch kann ich noch hinfliegen.“ Der König nahm sein schärfstes Schwert und die Hexe flog mit dem Tyrannen zu den beiden Gesuchten. Diese erschraken aber sehr, als sie sie kommen sahen. Die Hexe sagte dem König: „Blickt nicht in den Spiegel, sonst werdet Ihr starr!“ Der Müller hielt aber den beiden den Spiegel vor das Gesicht, sie wandten jedoch ihre Augen von ihm ab. „Du wagst es, mich zu verzaubern, du niederträchtiger Fremdling?“, brüllte der König, der noch immer hinter der Hexe saß und sein Schwert zückte.
Doch dabei bewegte er sich so heftig, dass er der Hexe sein rechtes Bein in den Rücken stieß. Sie erschrak dadurch sehr, verlor das Gleichgewicht und stürzte mit ihm schreiend zu Boden. Da zeigte der Müller ihnen den Spiegel und sie wurden sofort starr. Dann liefen der Schuster und der Müller davon. Ein paar Tage später fanden sie wieder den hohlen Baumstumpf, in den sie hineingehen mussten, um schnell in ihr Land zu gelangen. Dieses war aber nicht mehr träge und feierte bald die Hochzeit der Prinzessin. Der Müller sagte zum Schuster: „Einen besseren Gefährten als dich hätte ich nicht finden können. Du warst mir eine große Hilfe.“ Und sie blieben ihr Leben lang die besten Freunde. Der böse König des Nachbarlandes aber, der erstarrt war, wurde von wütenden Bauern gemeinsam mit der Hexe in den Fluss geworfen und niemand hat ihn je wiedergefunden.
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