Es war einmal ein Mann, der war überheblich und lebte in Saus und Braus. Eines Tages fuhr er mit einer Kutsche am Waldrand vorbei, da bemerkte er etwas golden Schimmerndes im Gebüsch. „Halt an!“, rief er dem Kutscher zu und dieser hielt den Wagen an. Da stieg der Mann aus und eilte zum Gebüsch, wo er das Schimmern gesehen hatte. Er erblickte zwei goldene Handschuhe und dachte sich: „Ach, sind die schön! Ich muss sie einfach mitnehmen!“ Er hob sie auf und wollte mit ihnen zur Kutsche zurückgehen, da stand plötzlich ein großer Mann in schwarzem Mantel vor ihm. Sein Gesicht war von einem großen hellroten Hut verdeckt, nur ein schmutziger Bart war zu sehen. Der Fremde fragte: „Was tust du mit meinen Handschuhen?“ „Ich habe nicht gewusst, dass sie Euch gehören!“ Doch der Fremde sprach: „Das tun sie aber! Du hast es gewagt, sie anzufassen. Daher musst du jetzt zu mir in mein Reich!“ „Was? Das kann ich nicht! Wer seid Ihr eigentlich?“ „Das tut nichts zur Sache, wer ich bin! Wichtig ist nur, dass du mit mir kommst!“
Da überfiel den Mann große Furcht und er bat: „Nein, Herr! Bitte lasst mich nach Hause zurückkehren!“ „Das ist nicht mehr möglich! Du hast die Handschuhe berührt, du musst dafür büßen! Jetzt wirst du für mich arbeiten. Für lange Zeit.“ Da warf sich der verzweifelte Mann auf die Knie und flehte unter Tränen: „Bitte! Lasst mich gehen! Ich flehe Euch an!“ „Nun gut! Dann soll jemand anders für dich arbeiten. Wen willst du mir bringen?“ „Meinen Kutscher! Er ist gleich da hinten! Ich werde es ihm sagen.“ Der Mann stand auf und eilte zum Kutscher und sagte zu ihm: „Du musst ein Opfer für mich bringen! Da hinten steht ein Mann, für den du für ein paar Tage arbeiten sollst, damit ich nicht mit ihm kommen muss.“
Aber der Kutscher erschrak, als er den unheimlichen Mann im schwarzen Mantel sah. „Mein Herr, ich würde viel für Euch tun, aber das kann ich nicht! Da ist auch meine Familie, um die ich mich sorgen muss. Wer kümmert sich um sie, wenn ich nicht mehr zurückkommen würde?“ Der vornehme Mann erschrak und sagte verärgert: „Das wird dir dein Herr nicht vergessen!“ „Fragt doch Euren treuen Diener Leopold, der keine Familie hat und Euch treu ergeben ist.“ Da eilte der wohlhabende Mann zum Fremden zurück und sprach: „Lass mich zu meinem Diener heim. Der wird für mich arbeiten.“ „Aber wehe, wenn du glaubst, dass du mir entwischen kannst!“, drohte ihm der Fremde, packte mit seiner rechten Hand die linke Schulter des vornehmen Mannes und sagte: „Du musst mir bis zum Abendrot einen Ersatz für dich hierherbringen, sonst wirst du ganz zu Kalkstein werden!“
Da fühlte der vornehme Mann, dass seine Schulter fest und hart wie Kalkstein war. Er erschrak heftig und sah den geheimnisvollen Fremden mit großen Augen an. Aus Angst atmete er schwer und sagte: „Gut, ich werde gleich jemanden holen.“ Zitternd ging er zum Kutscher zurück und befahl ihm, ihn so schnell wie möglich nach Hause zu bringen. Als sie dort angekommen waren, eilte er zu seinem Diener und sagte zu ihm: „Leopold! Du musst mir helfen und ein Opfer bringen! Ein fremder Mann wollte mich für ein paar Tage für ihn arbeiten lassen, weil er glaubt, ich wollte seine Handschuhe stehlen. Aber ich darf nun jemand anderen zu ihm hinschicken. Das würdest du doch für mich tun?“
Der Diener erschrak und sprach: „Herr, ich tue viel für Euch. Aber ich soll bei einem Fremden arbeiten? Was müsste ich denn da tun?“ „Das weiß ich nicht. Ich kenne ihn nicht.“ „Was ist, wenn das ein Gewalttätiger ist? Ich habe eine Schwester, die einen kleinen Jungen, aber keinen Mann hat; die muss ich versorgen, das wisst Ihr. Wenn mir bei dem Fremden etwas geschieht, ist es auch um sie geschehen.“ „Liebst du deinen Herrn nicht?“ „Doch! Aber ich arbeite nur für Euch, für keinen anderen! Das müsst Ihr mir verzeihen!“ „Das wird dir dein Herr nicht vergessen!“ „Fragt doch den Bettler da draußen, der jeden Monat kommt und um Almosen bittet! Er steht gerade vor dem Haus! Seht aus dem Fenster hinaus!“
Da sah der vornehme Mann hinaus und erblickte den Bettler. Er rannte schnell hinaus und sagte zu ihm: „Mein Freund! Sieh, du bekommst zwei Goldstücke, wenn du mir einen großen Gefallen tust! Ich müsste für einen fremden Mann arbeiten, aber ich darf einen Ersatz für mich hinschicken! Würdest du die Arbeit machen, wäre mir das eine große Hilfe!“ Der Bettler blickte verdutzt und fragte: „Wer ist dieser Mann und was soll ich da tun?“ „Ich weiß es nicht.“ „Wie sieht er aus?“ Der wohlhabende Mann stutzte und sprach: „Sein großer hellroter Hut verdeckte sein Gesicht. Er trug einen schwarzen Mantel.“ „Das klingt doch recht unheimlich! Aber wisst Ihr was? Leide ich doch fast jeden Tag den Hungerschmerz, trage die erbärmlichsten Kleider, suche Jägerstände als Schafplatz auf. Mit Leiden bin ich vertraut, sie sind meine ständigen Begleiter. Daher kann ich nichts verlieren, wer auch immer dieser Mann sein mag.“
Der Vornehme gab ihm die zwei Goldstücke und rief den Kutscher, damit dieser sie zum Fremden fahre. Als sie am Waldrand ankamen, waren bereits fast der ganze linke Arm und der Hals des Mannes zu Kalkstein geworden. „Wir müssen eilen, hoffentlich finden wir ihn!“, sagte der Mann und sie stiegen aus der Kutsche aus und gingen zum Gebüsch. Da erschien der Fremde und der wohlhabende Mann sprach: „Seht, dieser hier wird für mich arbeiten!“ Der Bettler erschrak sehr bei dem Anblick des Fremden, der sagte aber: „Dann komm mit mir mit!“ So musste der Bettler schweren Herzens dem geheimnisvollen Mann folgen. Der Reiche fuhr aber zurück in sein Haus und veranstaltete ein Trinkgelage. Der Bettler wurde zu einer unheimlichen Ruine im Wald gebracht, die nur mehr aus einigen Mauerresten bestand. Inmitten der Ruine befand sich ein Gärtlein und in diesem wuchs ein Apfelbäumchen. Der Bettler war recht erstaunt darüber. Da sagte der Fremde zum Apfelbaum: „Öffne dich!“ Plötzlich tat sich der Baum auf und man konnte eine Treppe in ihm erkennen. „Folge mir!“, sagte der Fremde. Er ging in den Baum und die Treppe hinunter. Der Bettler folgte ihm ängstlich. Als sie unten angekommen waren, sah der Bettler einen großen Raum, der mit Fackeln beleuchtet war und in dem sich allerlei Geräte befanden. Der Fremde legte aber seine Hand auf die Brust des Bettlers, wo sich sein Herz befand. Es pochte schnell, weil er sehr aufgeregt war. Da sprach der Fremde: „Ich hab es mir gedacht! Dein Herz ist nicht schlecht genug, dass du es verdient hast, hier schuften zu müssen. Nun kann ich mit dir nicht viel anfangen! Sag mir, hast du Geld dabei?“
„Ja, habe ich! Zwei Goldstücke!“ „Würdest du sie mir geben?“ „Ich habe sie von dem wohlhabenden Mann bekommen, damit ich für ihn einspringe. Darf ich armer Bettler es nicht behalten?“ „Der ist wirklich ein mieser Schuft! Dir rate ich aber, mir das Geld zu geben! Du wirst es mir später danken.“ Da gab der Bettler ihm etwas widerwillig die zwei Goldstücke. Der Fremde nahm aber ein sonderbares, großes Sieb und siebte damit die zwei Goldstücke, sodass sie vier wurden. Der Bettler erschrak sehr und konnte nicht glauben, was er mit eigenen Augen gesehen hatte. „Wie habt Ihr das gemacht?“, fragte er. „Ich öffnete den Baum mit einem Spruch und du warst weniger verwundert. So seid ihr Menschen eben. Aber du bist viel weniger schlecht als der reiche Mann. Sag mir nun, bist du stets ehrlich gewesen?“ „Warum wollt Ihr das wissen?“ „Sag es mir!“ „Nein, ich war nicht immer ehrlich.“ Da warf der Fremde die vier Goldstücke durch das Sieb und es wurden acht. Dann fragte er: „Hast du jemals gestohlen?“ „Ja. Zweimal. Aber ich bereue es und würde es nicht mehr tun. Es hat mir auch nichts gebracht.“ Dann ließ der Fremde die acht Goldstücke durch das Sieb und es kamen sechszehn heraus. Er nahm diese und ließ sie wieder durch das Sieb. So hatte er zweiunddreißig. Dann fragte er: „Warst du je gewalttätig?“
Der Bettler senkte den Kopf und sagte: „Einmal habe ich einen reichen Mann ins Gesicht geschlagen, weil er mich Bettelpack nannte.“ Der Fremde nahm die zweiunddreißig Goldstücke und ließ sie durch das Sieb. Dann waren es vierundsechzig. Er sagte: „Du sollst aber nicht büßen wegen des Geizes dieses Mannes!“ So ließ der Fremde die vierundsechzig Goldstücke durch das Sieb und so entstanden hundertachtundzwanzig. „So, die gehören nun dir! Du brauchst nicht zu arbeiten bei mir, da dein Herz ein recht gutes ist! Nimm die Goldstücke an!“ Da freute sich der Bettler sehr und nahm die Goldstücke dankend an und sagte: „Ich habe noch nie so viel Geld besessen! Behaltet Euch dafür zehn davon!“ Da lachte der Fremde laut auf und konnte fast gar nicht mehr damit aufhören. Dann sprach er: „Du denkst, ich brauche das? Ich kann mir doch so viel Geld sieben, wie ich will! Gib mir deine Goldstücke aber noch einmal!“ Der Bettler gab sie ihm und der Fremde siebte sie noch einmal, bis es zweihundertfünfundsechzig waren. „Das hast du dir verdient! Jetzt nimm sie! Das genügt für dich.“ Der Bettler nahm sie, lachte und sprach: „Wie soll ich die alle nur mitnehmen?“ „Indem du sie in diesen schönen Beutel tust“, sagte der Fremde und gab ihm ihn. Dann legte er dem Bettler einen wunderschönen Mantel um. Dieser war so verwundert über die Schönheit desselben, dass er fast gar nicht mehr aus dem Staunen herauskam. „Das tragen ja fast nur Könige oder Herzöge!“, stammelte er. Der Fremde sagte: „Einen Gefallen schuldest du mir aber.“ „Ja gern! Welchen denn?“ „Zeig deine Goldstücke und deinen Mantel auch dem Mann, der dich zu mir gebracht hat!“
„Das tu ich doch gern!“ Dann durfte der Bettler das Reich des Fremden verlassen. Es war aber gerade Abend geworden und er kam noch rechtzeitig aus dem Wald heraus, bevor es stockfinster war. Er übernachtete in einem Wirtshaus und ging am nächsten Tag zum wohlhabenden Mann. Er klopfte an die Tür und der Diener machte ihm auf und ließ ihn hinein. Der staunte aber sehr über den kostbaren Mantel, den der einstige Bettler trug. Plötzlich kam der reiche Mann die Treppe hinunter und erblickte den Beschenkten. Er sah ihn verwundert an und fragte: „Du bist schon wieder da? Bist du denn nicht mit dem Fremden mitgegangen? Und woher hast du den Mantel? Hast du ihn gestohlen?“ Da lachte der Bettler und sagte: „Aber nein! Ich habe nichts gestohlen! Ich war im Reich des Fremden und er hat mir diesen Mantel und diese Goldstücke geschenkt!“ Da zeigte er das viele Geld, das er im Beutel hatte. Wie staunte da der vornehme Mann und fragte: „Wieso musstest du nicht arbeiten? Wie viel Geld hast du da?“ „Ich musste gar nichts tun! Nur Eure zwei Goldstücke habe ich ihm geben müssen. Dann hat er ein ganz wundersames Sieb genommen und die zwei Goldstücke gesiebt und sie sind dann verdoppelt worden. Siebenmal hat er sie verdoppelt, bis ich 256 hatte. Auch der Mantel ist ein Geschenk von ihm.“ Da sprach der wohlhabende Mann verärgert: „Du hast 256 Goldstücke wegen meinen zwei bekommen? Du bist reich geworden durch mein Geld? Es würde mir zustehen.“ „Ich habe es nicht vermehrt, sondern der geheimnisvolle Mann, der sehr gut zu mir war. Aber ich muss nun gehen und mir eine Unterkunft suchen; jetzt kann ich es mir endlich leisten. Vielen Dank für Eure Hilfe! Lebt wohl!“ Dann verließ der einstige Bettler das Haus.
Der geizige Mann war aber außer sich vor Wut. Er fragte sich: „Wie kann es sein, dass dieser Tölpel mit meinem Geld zu Reichtum kommt? Und dann besitzt er noch einen Mantel, den nur Leute vom Hochadel tragen! Das darf nicht sein!“ Es ließ ihn aber keine Ruhe und er konnte drei Tage lang an fast nichts anderes denken. Auch konnte er drei Nächte lang kaum schlafen, weil ihn der Ärger innerlich auffraß. Doch dann sagte er sich: „Nein! So kann es nicht weitergehen! Ich will den Fremden suchen, vielleicht lässt er mich auch noch dorthin. Arbeiten muss ich schließlich nicht, daher kann ich es versuchen. Aber ich nehme mein Vermögen mit! Wenn der sonderbare Kauz fünftausend Goldstücke, die Hälfte von meinem Besitz, siebenmal verdoppelt, dann habe ich 640 000 Goldstücke! Dann bin ich unfassbar reich!“
Er befahl seinem Diener, fünftausend Goldstücke in Säcke zu füllen und in die Kutsche zu stellen. Dann setzte der wohlhabende Mann sich in die volle Kutsche und hatte kaum Platz darin. Er ließ sich zu dem Waldrand fahren, wo er den Fremden getroffen hatte. „Bleibt nur zu hoffen, dass keine Diebe in der Nähe sind!“, rief der Kutscher besorgt. „Halt den Mund! Die Fahrt dauert doch keine halbe Stunde! Ich habe hier noch nie von einem Raubüberfall gehört!“, schrie der Reiche. Seine Gier war so groß, dass er jede Vorsicht vergaß. Als sie bei dem Gebüsch angekommen waren, stieg der Mann aus und suchte den Fremden. Da er ihn nicht sah, rief er: „Geheimnisvoller Fremder! Wo seid Ihr?“ Bald darauf erschien dieser tatsächlich. Der Mann freute sich und sagte: „Herr, lasst mich nun doch auch in Euer Reich! Ich will selbst arbeiten wegen meines versuchten Diebstahls.“ „Wieso? Der Bettler war bei mir, warum willst du jetzt selbst arbeiten?“ „Zur Buße! Aber können wir bitte auch einige Geldsäcke mit der Kutsche mitnehmen?“ „Wozu denn? Zu meinem Reich führt keine Straße.“ „Ich habe viel Geld geerbt und aus Freude darüber möchte ich Euch ein paar Goldstücke abgeben! Aber in der Kutsche mag ich all das Geld nicht lassen.“ „Du bist sonderbar. Du fährst mit so viel Geld durch die Gegend. Aber nun gut! Meine Helfer sollen die Geldsäcke in mein Reich bringen! Sie sind zuverlässig.“ Dann rief der Fremde laut:
„Kommt herbei, ihre Zwergelein,
bringt die Geldsäcke hinein!“
Da erschienen plötzlich Zwerge, die sehr stark waren, die Geldsäcke nahmen und in das Reich des Fremden brachten. Dieser ging mit dem vornehmen Mann über die Treppe im Apfelbaum in das Reich hinunter. Dann legte er seine Hand auf das Herz des Wohlhabenden. „Sieht nicht gut aus“, sprach der Fremde. Da fragte der Vornehme besorgt: „Ist mein Herz denn nicht gesund?“ „Das ist nicht das Problem! Dein Herz ist nicht gut. Du musst hier ein Jahr lang bleiben.“ „Was? Wieso denn? Der Bettler musste auch bloß wenige Stunden bleiben! Du hast mich reingelegt!“ „Ich habe dich reingelegt? Du wolltest doch arbeiten. Das wirst du auch müssen. Sei froh, dass du meine Handschuhe nur berührt hast. Hättest du sie bereits mitgenommen und hätte ich dich erwischt, hättest du mehrere Jahre hierbleiben müssen.“ „Aber dein Sieb wirst du doch verwenden?“ „Ja, selbstverständlich! Wenn das Jahr vorbei ist.“ Der vornehme Mann musste nun aber ein Jahr lang arbeiten, was ihn sehr verdross. Frühmorgens musste er aufstehen und durfte erst spätabends schlafen gehen. Zu essen bekam er jeden Tag nur eine wässrige Suppe und steinhartes Brot. Er musste die außergewöhnlichen Geräte bedienen und verschiedenste Dinge herstellen. Ihm kam es vor, als ob jeder Monat so lange wie ein Jahr dauerte. Sein einziger Antrieb war es, dass sein Geld vervielfacht werden würde. Als das Jahr endlich vergangen war, rief der Fremde den reichen Mann zu sich und sagte ihm: „Du warst nun ein Jahr lang hier und jetzt werde ich noch dein Innerstes prüfen. Denn in dir scheint noch immer viel Schlechtes zu sein.“ Der Fremde fragte ihn: „Du willst dein Geld doch vervielfacht haben, oder?“ „Ja, mein Herr, das wäre schön.“ Da ließ der Fremde es durch das Sieb und weil es so viel Geld war, dauerte es eine Weile. Doch wie erschrak der vornehme Mann, als er sah, dass die Goldstücke weniger geworden waren. Er zählte sie kleinlich und sagte verstört: „Es sind ja nur mehr 2500 Goldstücke! Was habt Ihr getan?“ „Bleib ruhig! Es ist ja noch nicht vorbei! Hast du jemals gelogen?“ „Nein! Nie und nimmer! Nie kam eine Lüge über meine Lippen!“ Dann tat der Fremde die Goldstücke durch das Sieb und es kamen 1250 heraus. „Was passiert mit meinem Geld? Was tut Ihr? Hört auf!“, schrie der vornehme Mann zornig. „Sei still! Sonst lasse ich meine Diener holen! Du hast gelogen. Jetzt und früher. Wie lange hast du dem Kutscher, deinem Diener und dem Bettler gesagt, dass sie bei mir arbeiten müssten?“ „Für längere Zeit!“ Als der Fremde das Geld durch das Sieb drehen wollte, wollte der Mann auf ihn losgehen, um ihn aufzuhalten. Da rief der Fremde:
„Kommt herbei, ihr Zwergelein,
damit der Böse nun halte ein!“
Da kamen zwei Zwerge und hielten den vornehmen Mann an den Händen fest. Sie waren aber so stark, dass er sich nicht wehren konnte. „Du hast dem Kutscher, dem Diener und dem Bettler gesagt, dass sie nur für wenige Tage arbeiten müssten, obwohl ich das nicht gesagt hatte. Daher gleich dreimal durch das Sieb!“ So siebte er die 1250 Goldstücke gleich dreimal hintereinander, bis nur mehr 156 Goldstücke übrig waren. Der Mann schrie auf und ärgerte sich über alle Maßen. „Du hast aber bereits früher in deinem Leben gelogen und bist dazu noch sehr selbstsüchtig und geizig. Sieben wir das noch zweimal, dann haben wir es siebenmal getan. Das ist dann genug“, sagte der Fremde. So siebte er die 156 Goldstücke noch zweimal, bis nur mehr neununddreißig übrig waren. Der Fremde sagte:
„Nun siebenmal gesiebt,
du hast die Lüge geliebt.
Dafür hast du deinen Lohn,
du der Falschheit Sohn!“
Der reiche Mann weinte und fluchte, doch der Fremde sprach: „Das hast du jetzt davon! Meine Diener werden dich zum Waldesrand führen. Leb wohl!“ Er gab dem Mann die verbliebenen neununddreißig Goldstücke und die Zwerge brachten ihm zum Waldesrand. Als sie ihn aber losgelassen hatten, rief er laut: „Verschwindet!“ Er eilte wutentbrannt nach Hause. Aber er erschrak sehr, als er eine eingeschlagene Fensterscheibe sah und niemanden vorfand. Da er keinen Schlüssel mitgenommen hatte, konnte er die Türe nicht aufschließen. Bald entdeckte er einen Mann in der Nähe, der ihm erzählte: „Alle glaubten, Ihr seid tot. Da Ihr keine Verwandten hattet, überlegte Euer Diener, wer das Geld erben würde. Doch es brachen bald Diebe ein und stahlen alles Geld. Der Diener hat aber das Haus bekommen und vor einem Monat an einen Mann verkauft, der sich nicht darum kümmert.“ Da brach der reiche Mann zusammen und musste sich mit den neununddreißig Goldstücken begnügen, die ihm geblieben waren. Bald darauf waren aber auch sie aufgebraucht und er musste nun selbst wie ein Bettler leben. Der einstige Bettler aber lebte gut und glücklich bis an sein Lebensende.
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