Es war einmal ein König, der hatte eine wunderschöne Tochter. Eines Tages traf er den König des Nachbarreiches und sah auch dessen Sohn. Dieser war gesittet und hatte ein sehr adeliges Verhalten. Daher sagte der König: „Diesen Prinzen soll meine Tochter eines Tages heiraten und keinen anderen.“ Die Jahre vergingen und der König hatte immer mehr Freude an dem Gedanken, seine Tochter mit dem Prinzen zu verheiraten. Er dachte sich auch: „Wenn die beiden heiraten, entsteht ein großes Doppelreich.“ Seine Tochter hatte den Prinzen aber noch nie gesehen, da die Reise in das andere Reich lange und zu anstrengend für die Kleine gewesen wäre. Eines Tages ging die Prinzessin zu ihrem Vater und sagte zu ihm: „Vater, wird mein zukünftiger Gemahl schön aussehen? Wird er wohl auch liebevoll sein?“ „Mein Kind, du wirst einen Prinzen bekommen, der sich zu benehmen weiß. Einen echten Prinzen. Ich habe dir so einen ausgesucht.“ „Wie sieht er denn aus?“ „Mein Kind, das wirst du schon sehen. Gedulde dich.“ „Was ist, wenn er mir nicht gefällt?“ Der König stutzte ein wenig, dann sagte er: „Das wird er schon. Mach dir keinen Kopf.“
Der König begann nun aber zu zweifeln, ob der Prinz seiner Tochter tatsächlich gefallen würde. „Was ist, wenn sie ihn abweist? … Das wird sie wohl nicht. Aber was ist, wenn sie es doch tut? Oder was ist, wenn sie nicht glücklich sein wird, wenn sie Ja sagt?“ Er grübelte und grübelte und konnte nachts kein Auge mehr zutun. So ging das einige Tage. Dann vertraute er seinem liebsten Diener seinen Kummer an. „Was sagst du, soll ich machen? Wenn meine Tochter ihn abweist, was ist dann? Ich will, dass sie ihn heiratet, niemanden sonst.“ „Hoheit, Ihr seid der König! Wenn Ihr sagt, sie soll ihn heiraten, dann soll sie es tun!“ Der König überlegte ein Weilchen, dann sprach er: „Du hast wohl recht. Die Heirat nützt auch unserem Königtum, denn dieses wird dann mit dem anderen vereinigt und daher noch weniger angreifbar für Feinde sein. Aber was mache ich, wenn sie ihn nicht will und sich weigert?“ „König, Ihr habt doch einen Zauberer! Fragt Ihn doch, ob er denn nicht Eure Tochter verzaubern kann!“ „Nein“, schrie der König auf, „das kann ich nicht tun!“ „Überlegt es Euch!“ Der König dachte ein Weilchen nach. Dann fasste er tatsächlich den Entschluss, zum Zauberer zu gehen.
Diesem erzählte er seine Sorge und der sprach: „Ich könnte einen Liebestrank brauen, aber der wirkt nicht sehr lange Zeit.“ „Was heißt das? Wie lange wirkt er?“ „Womöglich ein halbes Jahr. Höchstens.“ „Das hat keinen Sinn“, erwiderte der König. „Wie wäre es mit einem Zauber, der sie davon abhält, einen anderen Mann anzurühren?“ „Ja, das wäre gut.“ Dann sagte der Zauberer einen Spruch:
„Die Prinzessin nur begehr,
den guten Prinzen Anton sehr,
ein Fremder sei wie Schmutz,
dem Doppelreich zum Schutz!“
Es vergingen ein paar Monate, da kam ein junger Graf zu Besuch in die Königsburg. Die Prinzessin hatte ihn schon lange nicht mehr gesehen. Als sie ihn nun erblickte, verliebte sie sich in ihn, denn er war ein schöner Mann geworden. Auch er verliebte sich in die Prinzessin und da er ein paar Tage in der Burg blieb, trafen sich die beiden mehrere Male im Burggarten. Da fassten sie sich an den Händen und blickten einander an. Plötzlich bemerkte die Prinzessin, dass ihre Hände schmutzig waren. „Oh, Prinzessin! Sind denn meine Hände so schmutzig?“, fragte sich der Graf und sah, dass seine sauber waren. „Nein, es scheint von meinen zu kommen“, sagte sie. Sie errötete, da sie sich deswegen schämte. „Wie konnte das bloß passieren?“ „Prinzessin, erröte nicht! So etwas kann doch geschehen!“ Sie nahm ein Tuch und reinigte ihre Hand. Dann wollten sie sich noch einmal die Hände reichen, doch da wurde die der Prinzessin wieder schmutzig. „Wie kann denn das sein“, fragte er sich, „wo meine Hand ganz sauber ist?“ Beide waren sehr verwundert und konnten es sich nicht erklären. Sie reinigte noch einmal ihre Hand und reichte sie ihm. Doch da wurde sie schon wieder schmutzig. „Warum geschieht das?“, fragte sie sich. „Das sieht mir wie ein Zauber aus. Aber von wem kann er ausgehen?“, antwortete der junge Graf. „Darf ich denn nicht lieben? Ist es mir verboten?“, klagte sie. „Wieso denkst du gleich so etwas? Wir müssen nur herausfinden, wer dich verzaubert hat.“
Die Prinzessin ging zum Zauberer, denn sie vertraute ihm voll und ganz. Sie fragte ihn: „Wenn ich jemanden berühre und dadurch schmutzig werden würde, welch ein Zauber könnte schuld daran sein?“ Da wusste der Zauberer, dass sie sich in jemanden verliebt hatte. Er antwortete aber: „Das kann ich Euch nicht sagen; es gibt viele Gründe für solch einen Zauber.“ Er erzählte dies dem König, der darüber sehr erzürnte. „In wen hat sie sich denn verliebt? Sag es mir sofort!“ „Das konnte ich nicht herausfinden, mein König!“ „Gibt es denn keine Möglichkeit, das herauszufinden?“ „Macht Euch keine Sorgen! Der Zauber wird die beiden schon auseinanderbringen!“ Doch der König bestand darauf, dass der Zauberer nachforschte, wer der Geliebte der Prinzessin wäre. Als dieser seinen Kristall befragte, sah der König von seinem Fenster aus, wie der Graf mit der Prinzessin in den Burggarten ging. Da wusste er sofort, dass der Graf der Geliebte war. Er schickte einen Diener zu diesem, der ihn aufforderte, die Burg sofort zu verlassen. Der Graf hätte sich gern widersetzt, doch er konnte es nicht. Er sagte zur Prinzessin: „Ich werde bald wiederkommen. Das verspreche ich.“ „Wann?“ „Noch bevor die Bäume all ihre Blätter verloren haben, werde ich zurückkommen.“ „Das sagst du nur, dabei ekelt es dir vor mir.“ „Nein, ich verspreche es.“ Der König wollte den Grafen aber nicht mehr in die Burg lassen, stattdessen hatte er vor, seine Tochter bald mit dem Prinzen des Nachbarlandes verheiraten.
Nach ein paar Tagen zeigten sich die Bäume in ihrer herbstlichen Farbpracht. Als weitere Tage vergangen waren, hatten sie fast keine Blätter mehr. Da bangte die Prinzessin, ob ihr Geliebter wohl wieder heimkäme. Jeden Morgen, gleich nachdem sie erwachte, sprang sie aus ihrem Bett, um aus ihrem Fenster zu sehen. Sie konnte von dort die Bäume im Burggarten und große Bäume, die vor der Burg standen, sehen. Voller Sorge achtete sie darauf, wie viele Blätter die Bäume noch trugen. Eines Morgens herrschte ein recht starker Herbstwind, der die letzten Blätter fortzuwehen drohte. Doch die Vögel, die sich im Burggarten herumtrieben, waren ihr treu ergeben. Sie rief ihnen zu:
„All meine Vögelein,
ihr sollt gehorsam sein,
verlasst doch euer Nest
und haltet die Blätter fest!“
Da setzten sich die Vögelchen auf die Zweige und umklammerten mit ihren Füßen die Blattstiele, damit sie vom Wind nicht weggeweht werden konnten. Die Prinzessin war dadurch etwas beruhigter. Der König rief sie aber zu sich und sagte zu ihr: „Tochter, du wirst bald heiraten. Wir werden zum Prinzen fahren, damit ihr euch vermählen könnt.“ Da erschrak sie und sagte ihrem Vater, dass sie sich weigere. Der wurde aber sehr wütend und sprach: „Wir machen das so, wie ich es will!“ Die Prinzessin war dadurch bekümmert und untröstlich.
Am nächsten Tag kam aber der Graf wieder und wollte in die Burg. Doch die Wächter wollten ihn nicht hineinlassen. Die Prinzessin erfuhr dies aber von den Vögelchen und befahl den Wächtern, ihn hineinzulassen. Diese gehorchten zögerlich und der Graf durfte in die Burg. „Ich bin so froh, dass du gekommen bist! Was auch immer mein Vater sagt, ich werde den Prinzen nicht heiraten!“ Der König erfuhr aber schnell, dass der Graf in die Burg gekommen war, und erzürnte sehr. Er sah die beiden und schrie: „Was fällt euch ein? Tochter, wieso widersetzt du dich meinem Willen?“ „Weil ich den Grafen liebe und ich keinen anderen Mann haben will.“ Sie nahm den Grafen an der Hand und fügte hinzu: „Nur ihn liebe ich.“ Da bemerkte sie, dass ihre Hand rein blieb, und sie wunderte sich darüber. Der König war darüber nicht weniger verwundert. Er verlangte von ihnen, dort zu warten und befragte seinen Magier, wieso der Zauber nicht mehr wirkte. Dieser antwortete: „Wenn die Liebe sehr groß ist und die beiden allem trotzen, kann der Zauber enden.“ Der König wurde fuchsteufelswild und schrie: „Das darf doch nicht wahr sein! Das hättest du mir sagen sollen!“ „Das war nicht abzusehen, Euer Hoheit!“ Er musste nun einer Heirat zustimmen und das Paar lebte glücklich bis an sein Ende.
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