Es war einmal ein König, der liebte es, wenn man das, was er für schön und einzigartig hielt, bewunderte. Er ließ sich ein neues Schloss nach den Plänen eines Architekten aus einem anderen Land bauen und bewahrte darin viele Kunstwerke auf, die alle seine Besucher bewundern mussten. Was auch immer er als schön empfand, musste jedem gefallen. Eines Tages kam ein hoher Adeliger zu Besuch in das Schloss. Dieser sah dort ein Bild aus einem fernen Land aufgehängt, das ihm aber nicht sehr gefiel. Als der König den Adeligen nach seiner Meinung fragte, antwortete dieser: „Euer Hoheit! Ihr habt wahrlich ein wunderschönes Schloss und darin befinden sich nur die schönsten Kunstwerke! Aber dieses Bild wird Eurem Schloss nicht gerecht. Mir gefallen die anderen Bilder durchaus besser!“ Da wurde der König zornig und er sagte: „Was? Dieses Bild ist ein wahres Kunstwerk! Ein jeder, der Ahnung von Kunst hat, wird das bestätigen! Tatsächlich hat es bisher auch jedem meiner Gäste gefallen! Ihr scheint wohl von diesen Dingen keine Ahnung zu haben; daher frage ich Euch nicht mehr nach Eurer Meinung!“ Daraufhin schwieg der Adelige und der König fragte ihn nichts mehr über die Kunstwerke.
Als der König für ein paar Tage auf Reisen war, wurde eine wertvolle Statue aus einem anderen Land in sein Schloss gebracht und dort aufgestellt. Der König hatte sich diese nämlich gewünscht und um sie in seiner Sammlung haben zu können eine hohe Summe gezahlt. Er hatte einen Diener beauftragt, sich um die Statue zu kümmern. Dieser war aber ungeschickt und unbeholfen, was der König jedoch nicht wusste. Der Diener entdeckte einen kleinen Schmutzfleck auf der Statue und wollte ihn wegwischen. Da er sich dabei derart ungeschickt anstellte, stürzte sie um und wurde an einer Stelle beschädigt. Er erschrak sehr und stellte sie wieder auf. Dann dachte er sich: „Wenn der König morgen von seiner Reise zurückkehrt, wird er furchtbar wütend werden! Womöglich verliere ich meine Stelle und komme sogar in den Kerker!“ Er nahm ein großes Tuch und verhüllte damit die Statue. Es ließ ihm aber keine Ruhe und er überlegte, was er tun könnte, damit die Statue wieder unbeschädigt aussehen würde. Dann fiel ihm ein, dass es eine Frau in der Nähe gäbe, die über etwas Zaubermacht verfügte. So stieg er auf sein Pferd und ritt zu ihr. Als er bei ihrem Haus am Waldesrand angekommen war, sah er sie sofort und erzählte ihr, was geschehen war und dass er ihre Hilfe brauche. Sie sagte aber: „Bin ich denn eine Bildhauerin, dass ich diese Statue restaurieren kann? Du verlangst vielleicht Dinge!“ Da sprach der Diener: „Ach, ich hatte so gehofft, dass es dir möglich wäre!“ Sie bekam Mitleid und sprach: „Na gut! Dann nimm dir etwas von der Erde von meinem Grund! Mit der kannst du das abgebrochene Stück der Statue ersetzen und dann werde ich um Mitternacht einen Zauberspruch sagen, der die Erde in Marmor umwandeln wird.“ Da war der Diener überrascht und sagte: „Von diesem Boden soll ich Erde nehmen, wo hier doch überall Ziegendreck ist? Und die soll ich dann ins Schloss mitnehmen und damit die kostbare Statue restaurieren? Ich bin auch ganz und gar ungeschickt; ich würde das nicht hinbekommen!“ Da wurde die Zauberin wütend und sprach: „Dann lass es! Du wolltest doch, dass ich dir helfe!“ Der Diener sagte daraufhin: „Nein! Dann werde ich es tun!“
Er nahm etwas von der Erde und ritt damit zum Schloss. Als er dort war, tat er die Erde auf die beschädigte Stelle der Statue und versuchte, sie passend zu formen. Aber er besaß keinerlei Kunstfertigkeit und dachte sich: „Das muss genügen! Vielleicht wird es durch den Spruch der Zauberin schöner aussehen.“ Dann verhüllte er die Statue wieder mit dem Tuch. Bald dämmerte es und es wurde dunkel. Um Mitternacht sprach die Zauberin eine Formel und die Erde auf der beschädigten Stelle der Statue wurde zu Marmor. Am nächsten Tag kam der König von seiner Reise zurück und hatte ein paar Adelige zu sich ins Schloss eingeladen. Er freute sich, als er erfuhr, dass die kostbare Statue bereits angekommen war. Der Diener traute sich nicht, das Tuch von der Statue zu nehmen, um sie sich anzusehen, da er bangte, dass der Zauber nicht gewirkt hatte.
Am Abend wollten sich der König und seine Gäste die Statue ansehen. Unter ihnen war auch ein sehr kunstverständiger Mann. Als sie vor der verhüllten Statue standen, nahm einer der Diener das Tuch herunter und alle betrachteten das Kunstwerk. Sie waren sehr erstaunt, denn die Statue war an der einen Stelle durchaus ein wenig entstellt, weil der Diener nicht besser formen konnte. Da sie aber von einem sehr bekannten Künstler war, sprach der König: „Seht, welch ein Kunstwerk!“ Die Adeligen um ihn herum sahen ihn mit großen Augen an und schwiegen. Dann fragte er: „Findet ihr nicht auch?“ Da antworteten sie ihm speichelleckerisch: „Ja, das ist es!“, denn sie trauten sich nichts anderes zu sagen. Auch der ungeschickte Diener sah, dass die Statue keineswegs makellos war, dachte sich aber: „Na gut! Dann brauche ich keine Angst zu haben! Der König sieht ja nur auf Rang und Namen, von Kunst versteht er ebenso wenig wie ich!“ So kam der Diener schadlos davon, ohne dass der König je Verdacht schöpfte.
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