Es waren einmal zwei Schwestern, die lebten bei ihrer Mutter in einem Holzhäuschen. Die eine Schwester war garstig, hinterhältig und gemein; die andere war freundlich und nett. Eines Tages ging das nette Mädchen in den Wald, um nach Beeren zu suchen. Da sah es einen alten Mann, der sehr freundlich aussah. Er grüßte das Mädchen und fragte es, was es hier suche. „Ich will ein paar Beeren sammeln. Wer seid denn Ihr?“ „Ich bin nur ein alter Mann, der hier versteckt im tiefen Wald wohnt. Hast du Wünsche in deinem Herzen?“ „Ach, ich bin recht zufrieden.“ Da sagte der alte Mann: „Kind, du dürftest dir was wünschen. Wenn du mir aus den Beeren, die du sammelst, etwas bäckst und es mir bringst, dann darfst du an meinem Spitzbart zupfen. Dann wird dir ein Wunsch erfüllt werden.“ „Das könnt Ihr wirklich?“, fragte das Mädchen verwundert. „Ja, das kann ich. Wenn du fleißig und liebenswürdig bist, dann sollst du belohnt werden.“
Das Mädchen suchte daraufhin Beeren und fand einige davon. Als es daheim ankam, erzählte es seiner Schwester von der Begegnung mit dem alten Mann. Diese war sehr verwundert darüber und wurde neidisch auf ihre Schwester. Am nächsten Tag backte die freundliche Schwester einen Kuchen mit den Beeren aus dem Wald. Doch die andere war hinterlistig, nahm ihn heimlich, als niemand hinsah und ging damit in den Wald. Da der Kuchen so einen herrlichen Geruch hatte, probierte die böse Schwester davon. Sie wollte fast gar nicht mehr zu essen aufhören, doch dann besann sie sich und ging tiefer in den Wald hinein, um den alten Mann zu finden. Der erschien tatsächlich und grüßte das Mädchen freundlich. Doch dieses antwortete: „Bist du der, dessen Bart Wünsche erfüllen kann?“ „Ja, das bin ich.“ „Meine Schwester hat von dir erzählt. Sie hat die Beeren gesammelt, wollte sie aber dann doch nicht zubereiten. So habe ich für dich einen Kuchen gemacht. Nimm ihn dir!“ Er nahm ihn verdutzt an und das Mädchen fragte: „Darf ich jetzt an deinem Bart zupfen?“ „Ja, du darfst!“ Da zupfte es wild an seinem Spitzbart, bis er sagte: „Das ist genug, mein Kind!“ Dann sah er sich den Kuchen an und fragte: „Wer hat davon gegessen?“ „Meine Schwester; sie war so gierig.“ Dann fragte es: „Wann wird mir mein Wunsch erfüllt werden?“ „Das wirst du schon sehen“, sagte er und verschwand. Dann ging das Mädchen heim und seine Schwester fragte: „Hast du meinen Kuchen gesehen? Mutter hat ihn nicht genommen.“ „Woher soll ich das wissen? Pass doch auf dein Backwerk auf!“ Da wurde das liebe Mädchen traurig und ging nicht in den Wald, da es dem alten Mann keinen Kuchen anbieten konnte.
Das unfreundliche Mädchen wartete auf die Erfüllung seines Wunsches. Da erschien unweit des Holzhäuschens ein großes Haus. Das böse Mädchen sah es und freute sich darüber, denn es war genau das, was es sich gewünscht hatte. Es eilte zum Haus und öffnete es. Darin fand es eine Truhe mit unzähligen Goldmünzen. Auch diese hatte es sich gewünscht. Aber seine Schwester bemerkte auch bald das große Haus und ging schüchtern dorthin. Da erblickte das Mädchen seine böse Schwester, als es durch das Fenster sah. Es erschrak und wollte die Türe öffnen, doch es kam nicht hinein. Die Schwester merkte es, ging zur Tür und fragte, wer da sei. „Ich bin es! Was machst du da in diesem fremden Haus?“ „Das Haus gehört mir! Der alte Mann im Wald hat es mir geschenkt, weil ich ihm den Kuchen gegeben habe. Niemand darf in das Haus hinein, so habe ich es mir gewünscht!“
Dann ging die garstige Schwester in die Küche und die andere konnte so viel klopfen, wie sie wollte, die garstige ließ sie nicht hinein. Auch die Mutter konnte nicht ins Haus und war sehr verärgert darüber. Das unartige Mädchen ging nur heimlich aus dem Haus, um sich Essen und Kleider zu kaufen. Das artige Mädchen war aber sehr traurig und dachte sich: „Ich habe den Kuchen gebacken und der Wunsch meiner Schwester hat sich erfüllt.“ So ging es in den Wald, um den alten Mann aufzusuchen, doch es fand ihn nicht. Es sammelte noch einmal Beeren, backte mit ihnen einen Kuchen und ging mit ihm in den Wald. Doch es fand den alten Mann wieder nicht. Es verging aber ein Jahr und das unartige Mädchen lebte noch immer im großen Haus. Die Mutter war vergrämt deswegen und wollte gar nicht mehr mit ihrer Tochter reden. Eines Tages ritt ein junger Edelmann durch das Dorf, in denen die beiden Schwestern lebten. Plötzlich schreckte ein Fuchs, der aus dem Gebüsch sprang, das Pferd auf, das sich aufbäumte und den Edelmann hinunterwarf. Das artige Mädchen hatte dies gesehen und lief zu ihm hin. Das Pferd rannte davon, aber das Mädchen brachte den Edelmann zu sich nach Hause. Er hatte sich Verletzungen zugezogen und es kümmerte sich um ihn. Die Mutter war aber gerade nicht daheim. Die böse Schwester hatte jedoch durch ihr Fenster gesehen, dass der junge Edelmann in das Holzhäuschen gebracht worden war. Als das artige Mädchen Wasser vom Brunnen holen wollte, eilte seine Schwester schnell zum Holzhäuschen, betrat es und sagte zum Edelmann: „Seid gegrüßt! Mein Herr, wollt Ihr nicht zu mir kommen? Ich bin eine reiche, vornehme Dame, die in einem schönen, großen Haus wohnt! Dort könnt Ihr Euch schneller erholen als in dieser armseligen Hütte.“
Er ging mit ihr zu ihrem Haus. Sie dachte sich: „Wenn er glaubt, dass ich eine reiche Dame bin, wird er mich vielleicht heiraten wollen.“ Ihre Schwester war aber sehr erstaunt, als sie den Edelmann nicht mehr im Häuschen sah. Sie sah jedoch, dass er im Haus ihrer Schwester war und ärgerte sich darüber. Am nächsten Tag ging sie in den Wald, um Beeren zu sammeln. Da fand sie zu ihrem Erstaunen den alten Mann wieder. Sie rief aus: „Ach, welche Freude! Endlich sehe ich Euch wieder!“ Er sagte: „Ja, ich halte mich in diesem Teil des Waldes nicht viel auf! Aber sag mir, wieso hast du mir nicht den Kuchen gebracht?“ „Meine Schwester hat ihn mir gestohlen! Nun lebt sie in einem großen Haus.“ „Kind, das habe ich mir schon gedacht. Aber ich kann nur einmal im Jahr einen Wunsch erfüllen. Nun werde ich dich meinen Bart zupfen lassen, weil du mir ihn ja gebacken hast! Überleg dir gut, was du dir wünschst!“ Da dachte sie an etwas und zupfte vorsichtig und ein wenig schüchtern an seinem Spitzbart. Sie sagte dann: „Habt Dank, dass ich an Eurem Bart zupfen durfte!“ Er lachte freundlich und wünschte ihr einen schönen Abend. Als das Mädchen daheim ankam, sah es, dass das große Haus seiner Schwester weg war und der Edelmann wieder im Holzhäuschen saß. Das hatte sich das Mädchen so gewünscht. Die Schwester war aber sehr verärgert, dass das Haus und das Geld weg waren und sie konnte es sich nicht erklären. Aus Angst vor ihrer Mutter traute sie sich nicht heim und versteckte sich im Hühnerstall.
Der Edelmann sagte zum artigen Mädchen: „Verzeih, dass ich gestern einfach weggegangen bin, ohne mich zu bedanken, nur wegen meiner Verletzung! Ich möchte dich aber fragen, ob ich dir etwas Gutes tun kann!“ Da sprach das Mädchen: „Ich getraue es mir nicht zu sagen.“ „Morgen muss ich weiter. Bis morgen Früh musst du diese Feder hier auf das legen, das du begehrst.“ Er nahm eine Feder von seinem Hut und legte sie auf den Tisch. Es standen da auch ein paar kostbare Dinge, die er bei sich hatte. Das Mädchen war aber klug und legte frühmorgens, als der Edelmann noch schlief, die Feder auf ihn. Als er erwachte, sah er die Feder auf seiner Brust liegen und wusste sofort, dass das Mädchen sie dort mit Absicht hingelegt hatte. Er sagte zu ihm: „Willst du denn mit mir auf mein Schloss?“ Es sagte zu und bald darauf heirateten die beiden. Die Mutter ließ die Schwester aber als Strafe im Hühnerstall und nicht mehr ins Haus, bis sie sie mit einem unliebsamen Mann verheiratete. Das artige Mädchen war aber glücklich mit seinem Gemahl.
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