Es war einmal eine Frau, die lebte mit ihrer Tochter in einem Haus am Waldrand. Es lebte bei ihnen aber auch noch eine Magd, die hart arbeiten musste. Die Tochter war hässlich, die Magd sehr schön und freundlich. Eines Tages wollte die Frau einen jungen Mann mit ihrer Tochter verheiraten. Als der Mann bei ihnen im Haus eingeladen war, verliebte er sich in die schöne Magd. Das fiel der hässlichen Tochter auf und sie wurde darüber wütend. Nachdem der Mann wieder gegangen war, sagte sie zu ihrer Mutter: „Der hatte nur Augen für sie. Es kann doch nicht sein, dass ich für ihn weniger interessant bin als eine Magd.“ Da antwortete die Mutter: „Keine Sorge, mein Kind! Wenn ich ihn noch einmal einlade, werde ich dich noch schöner einkleiden und schminken, dann wird er die dumme Magd nicht mehr ansehen!
Doch als der junge Mann erneut zu Besuch war, beachtete er wieder nur die Magd. Da wurde die Tochter noch zorniger und beklagte sich bei ihrer Mutter. Diese tröstete sie damit, ihn noch einmal einzuladen, sie aber noch schöner zu kleiden und zu schminken. Doch auch das nächste Mal wollte er die Tochter der Frau kaum beachten. In der Nacht darauf floh die Magd heimlich mit dem jungen Mann. Am Morgen wusste die Frau sofort, was vorgefallen war. Sie war sehr empört darüber, aber da sie eine Zauberin war, wusste sie sich zu helfen. Sie hatte ein ganz besonderes Fenster im obersten Stockwerk des Hauses. Wenn sie durch dieses Fenster blickte, konnte sie alles im Land sehen, selbst die kleinsten und verstecktesten Dinge. Sie warf einen Blick durch dieses Zauberfenster und sah die beiden im Wald gehen. Da überkam sie eine heftige Wut und sie suchte ihr dickes Zauberbuch. Sie sagte sich: „Das muss er mir büßen, wenn er eine dumme Magd meiner Tochter vorzieht.“
Der Mann und die Magd gingen schnellen Schrittes durch den Wald. Da gelangten sie zu einer Quelle. Die Magd sprach: „Ich habe Durst, ich will trinken gehen.“ Plötzlich stand da ein freundlich lächelnder, alter Mann, der sagte: „Das ist eine Zauberquelle. In diesem Wald gibt es drei von ihnen. Sie können bösen Zauber aufheben, wenn man sich mit ihrem Wasser wäscht. Aber man kann sich bei jeder Quelle nur einmal waschen und darf auch nicht aus ihr trinken, um den Durst zu stillen, denn sonst kann sie keinen Zauber mehr aufheben. Sie ist zu kostbar, um aus ihr zu trinken.“ Dann verschwand der Alte und das junge Paar sah sich verwundert an. Da traf ein Zauberfluch der bösen Frau die arme Magd, die zu einer hässlichen Kröte wurde. Da erschrak der Mann heftig und wusste nicht, was da vor sich gegangen war. Als er sich wieder besann, nahm er die Kröte und tauchte sie ins Quellwasser. Da wurde die schöne Magd zurückverwandelt. Die beiden waren so glücklich, gingen aber schnell weiter. Die Frau hatte jedoch alles durch ihr Zauberfenster gesehen und wurde fuchsteufelswild. Sie suchte nach einem anderen Fluch in ihrem Zauberbuch. Der Mann und die Magd eilten aber nichts ahnend durch den Wald. Da wurde die Magd in eine Eidechse verwandelt. Der Mann erschrak sehr und wollte das flinke Tier einfangen, aber es fiel ihm nicht leicht. Die Eidechse wollte ihm wieder entwischen, aber glücklicherweise war eine Quelle nicht weit von ihm entfernt. Er eilte zu ihr hin und tauchte das Tierchen ins Wasser. Da bekam die Eidechse wieder die Gestalt der Magd und die beiden eilten davon. Nach drei Stunden waren sie bereits sehr müde und erschöpft. Da es ein sehr heißer Sommertag war, an dem selbst der Schatten des Waldes kaum Kühlung brachte, waren sie sehr durstig. Als sie wieder eine Quelle sahen, rannte die Magd dorthin und wollte trinken. Doch ihr Geliebter rief: „Nein, meine Liebste! Das ist wohl wieder eine Zauberquelle! Wir brauchen sie womöglich noch!“ Da antwortete sie keuchend: „Nein, jetzt sieht uns die Hexe nicht mehr. Drei Stunden sind wir gerannt und es ist mir nichts geschehen. Wenn ich nicht trinke, verdurste ich.“ Dann trank sie vom Quellwasser.
Die böse Zauberin hatte aber durch ihr Fenster alles gesehen und gewartet. Nun verfluchte sie die Magd wieder. Diese wurde dadurch eine sehr hässliche, steinalte Frau. Da erschrak der junge Mann umso mehr, da sie keine Zauberquellen mehr nutzen konnten. Sie mussten aber weitergehen und fanden nach zwei Stunden ein Dorf. Dort arbeitete sie als Magd und er als Knecht. Die Zauberin freute sich aber und sagte sich: „Jetzt hätte er sicher meine Tochter lieber!“ Sie erzählte dies auch ihrer Tochter, die damit aber nicht zufrieden war. Sie sagte zu ihrer Mutter: „Das ist mir nicht genug! Ich wünsche ihr den Tod! Erst dann habe ich eine Ruhe in meinem Herzen!“ Ihre Mutter antwortete beschwichtigend: „Aber mein Kind! Glaubst du, er kann sie lieben, wo sie doch ihre schöne Gestalt verloren hat? Er wird ganz bestimmt nicht bei ihr bleiben oder vielleicht wird er zu dir zurückkehren.“ Die Tochter wollte nicht nachgeben. Aber die Mutter erwiderte nur: „Die beiden sind so weit entfernt, dass ich sie von hier aus nicht mehr verzaubern kann. Ich kann sie nur durch mein Zauberfenster sehen.“ „Dann mach sie ausfindig und fahr dorthin.“ Ihre Mutter tat es ihrer Tochter zuliebe und fuhr verkleidet in das Dorf, in das die verzauberte Magd und ihr Geliebter geflohen waren. Dann rief sie einen Wolf aus dem nahen Wald herbei und sagte zu ihm: „Du musst die hässliche Frau fressen, die in dem Haus da lebt.“ Da antwortete der Wolf verärgert: „Was? Du verlangst von mir, dass ich etwas Hässliches fresse? Glaubst du, dass ich daran Freude habe? Nein, das will ich nicht machen.“ „Es kann dir doch egal sein, wie sie aussieht. Ich bin eine mächtige Zauberin, wenn du es nicht machst, werde ich dich verhexen. Ich werde auch alles sehen, was du machst, da ich ein Zauberfenster habe.“ Da willigte der Wolf missmutig ein.
Er versuchte, unbemerkt ins Haus zu gelangen, in dem die Magd arbeitete, doch das erwies sich als schwieriger, als er gedacht hatte. Als sie dann alleine hinter dem Haus arbeitete, ging der Wolf auf sie zu. Da erschrak sie sehr und sprach: „Ach Wolf, bitte friss mich nicht!“ Der erwiderte: „Ich will es gar nicht, ich habe keinen Appetit auf dich. Aber es wurde mir von einer Frau befohlen.“ „Welche Frau?“, fragte sie zitternd. „Die kannte ich nicht. Sie war aus einem anderen Dorf.“ „Ob es die war, bei der ich einst gearbeitet habe? Sie lebt am anderen Ende des Waldes.“ „Sie hat mir gedroht, mich zu verhexen, wenn ich es nicht tue. Sie hat ein wundersames Fenster, durch das sie alles sehen kann.“ „Hab Mitleid, Wolf! Friss mich nicht!“, bat sie. „Ich will nicht verzaubert werden!“ „Im Wald gibt es drei Zauberquellen. Wenn du verflucht wirst, musst du darin baden, dann vergeht der böse Zauber.“ Der Wolf überlegte kurz und sagte dann: „Weißt du was? Ich will dich nicht fressen, weil ich lieber schöne Mädchen verzehre. Von dieser Hexe werde ich mir nichts gefallen lassen. Daher werde ich zu ihr gehen und versuchen, sie zu besiegen.“
Die Magd bedankte sich vielmals und arbeitete weiter. Da es aber selbst dem Wolf vor ihr ekelte, war sie bekümmert. Als sie ihren Liebsten sah, sagte sie ihm weinend: „Du kannst mich nicht mehr lieben. Ich bin hässlich wie die Nacht. Geh und such dir ein schönes Mädchen. Die Hexe will mich nun auch noch töten. Daher lass mich hier sterben.“ Darauf antwortete er: „Was redest du für einen Unsinn? Ich liebe dich doch. Wenn dich die Hexe töten will, dann fliehen wir. Wenn es sein muss, dann müssen wir das Land verlassen, denn hier wird sie uns durch ihr Fenster sehen.“ Sie verließen das Dorf und wollten in ein anderes Land fliehen. Der Wolf ging aber zum Haus der Zauberin. Diese hatte sehr wohl gesehen, dass er die Magd nicht gefressen hatte. Daher wunderte sie sich, was er tun wollte. Sie ließ ihn aber kommen. Als er vor ihrem Haus stand, rief sie von ihrem Fenster herunter: „Du wertloses Tier! Wieso hast du die Magd nicht gefressen?“ „Weil ich nicht wollte und ich mir nichts befehlen lasse! Da fress ich lieber leckere Hühner!“ Dann hob er einen großen Stein auf und warf das Zauberfenster ein. Sie geriet aber in Wut und wollte den Wolf verzaubern. Da merkte sie, dass sie nicht mehr zaubern konnte, weil ihr Fenster eingeworfen worden war. So konnte der Wolf unbeschadet den Heimweg antreten.
Die Magd und ihr Geliebter waren auf der Flucht. Sie sagte: „Ach, wie schmerzt es mich zu wissen, dass du meinetwegen die Heimat verlassen musst. Du kannst mich doch sowieso nicht lieben mit meinem Aussehen.“ „Doch, das kann ich“, erwiderte er. „Was ist, wenn wir den Zauber nie aufheben können?“ „Das können wir jetzt nicht sagen. Mach dir keinen Kummer. Dein gutes Wesen bleibt mir.“ Bald darauf verwandelte sich die Magd zurück in ihre frühere Gestalt, da die Zauberin besiegt worden war. Da freuten sich die beiden, blieben im Land und heirateten bald darauf. Die Zauberin und ihre Tochter lebten von nun an aber in Zorn und Hass.
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